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Flowertown - Die Sperrzone

Flowertown - Die Sperrzone

Titel: Flowertown - Die Sperrzone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S.G. Redling
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in der Hand näher. »Alles okay?«
    »Keine Ahnung.« Ellie stand auf. Sie versuchte zu verstehen, was gerade passiert war. Sie deutete mit ihrer Hand auf den Tisch. »Kann ich nachher zahlen? Ich komme zurück. Ich muss nur…«
    Mit einem Nicken verwies Peg auf die Tür. »Geh schon. Du kannst Bing nicht verärgern. Wir brauchen das Gras.«
    Ellie rannte auf die Straße und sah gerade noch, wie Bing um eine Ecke stapfte. Sie rannte hinter ihm her und rief seinen Namen, aber er hielt nicht an. Als Ellie es endlich bis an die Ecke geschafft hatte, war er verschwunden.
    Sie blieb stehen, stützte ihre Hände in die Hüften und überlegte, wohin er gegangen sein konnte, und was um alles in der Welt in ihn gefahren war. Sie wusste, dass Bing sehr reizbar war. Sie hatten häufig kleine Auseinandersetzungen, aber als sie ihm erzählt hatte, dass Guy sie in ihrem Zimmer aufgesucht hatte, war etwas in seinem Tonfall und in seinem wütenden Blick gewesen, das die ganze Szene unangenehmer als nötig hatte werden lassen. Sie ging weiter und spähte in die Fenster der Häuser, um ihren Freund vielleicht irgendwo zu erblicken. Zwei Straßenblöcke später stand sie an der Stelle des explodierten Archivs. Die Abriegelung war aufgehoben worden, und die meisten Kipplaster hatten den Ort verlassen. Es stank noch immer. Durch die Wasserpfützen, die hier und da noch nicht vertrocknet waren, ging Ellie auf die Ruine zu. Von dem Gebäudestanden nur noch die unteren Stützmauern. Nackte Kabel und Stahlbalken ragten wie gebrochene Knochen aus den verrußten Trümmern hervor. Sämtliche Schreibtische waren entfernt worden, nur ein paar verbogene und schwarz verkohlte Bürostühle standen am Rand. Ellie fragte sich, ob einer davon wohl Bing gehörte.
    Er hatte ja recht, musste sie zugeben. In vielerlei Hinsicht kannte er sie besser als sie sich selbst. Das lag vor allem daran, dass sie sich nicht ausstehen konnte, wenn sie sich den Spiegel vorhielt. Ein Teil von ihr, und zwar ein großer Teil, hoffte, dass jemand kommen und sich um alles kümmern würde. Dabei war sie einst so unabhängig gewesen. Als sie in Chicago wohnte, war sie durch und durch eine willensstarke, aufstrebende Führungskraft gewesen. Das war einer der Gründe, warum Josh sich in sie verliebt hatte. Sie war es gewesen, die den Urlaub in Spanien geplant hatte, sie hatte alles organisiert. Und es war ihre Idee gewesen, Chicago vorzeitig zu verlassen und bei Joshs Eltern zu wohnen, um Geld zu sparen. Wegen ihr war Josh nach Iowa zurückgekehrt. Wegen ihr war Josh jetzt tot.
    Ellie schloss die Augen, um diesen Gedanken, so wie alle anderen Gedanken auch, aus ihrem Kopf zu vertreiben. Sie bereute es, nicht mit Bing gekifft zu haben. Hätte sie den Joint nicht ausgeschlagen, dann wäre sie jetzt high und hätte keinen Streit mit ihrem besten Freund angefangen. Sie würden jetzt bei Crispins sitzen, lachen und Pfannkuchen essen. Noch so eine Sache, die sie vermasselt hatte.
    Nein. Ellie öffnete ihre Augen. Sie traf keine Schuld. Weder für Joshs Tod, noch für den Streit mit Bing, weder für das Gras, noch für den Ärger. Es war Fenos Schuld. Jede einzelne stinkende, dreckige Sekunde der vergangenen sieben Jahre war die Schuld der gierigen, gleichgültigen Mistkerle von FenoChemical, mit ihren Topsecret-Lagern und ihren schwer bewaffneten Schlägertypen. Bing mochte denken, dass sie eine Mitläuferin war, dass ihre Revolte nur aufgesetzt war, aber Bing wusste nicht, dass sie dem Feind geheime Akten gestohlen hatte. Genauso gut hätte sie vermutlich auch einen Liegestuhl vom Deck der Titanic werfen können, aber immerhin hatte sie gehandelt. Sie hatte Stellung bezogen und sie wollte ihrem Freund beweisen, dass er sich irrte.
    Sie schielte herüber zu dem Gullygitter, unter dem sie die Tüte versteckt hatte. Neben einem Müllcontainer diskutierten ein paar Arbeiter über irgendetwas, aber sie schienen ihr keine Aufmerksamkeit zu schenken. Ellie bemühte sich, nicht aufzufallen, oder wenigstens so zu tun, als habe sie ein klares Ziel, und ging auf das Gitter zu. Einer der Männer bemerkte sie und sie tat so, als suche sie das Gras nach etwas ab. Als er sich umdrehte, kniete sie sich schnell hin und zog das Gitter weg.
    Die Tüte war schmutzig und durch den Schutt, der in den Gully hineingefallen war, teilweise zerfetzt worden. Aber die Akten waren noch immer in Zeitungspapier eingewickelt und unversehrt.
    Ellie holte sie aus dem Versteck zwischen Gullygitter und Abflussrohr.

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