Fluch der 100 Pforten
schon gesagt«, antwortete Eli. »Ich hatte Angst. Meinst du, ich hätte vergessen, wer folgt, wenn diese Falken fliegen? Ich habe nur an mein Leben gedacht und an den Hass, den du mir stets entgegengebracht hast.«
»Du wolltest Endorischen Zauber anwenden, um dein Leben zu retten? Wenn du gewusst hast, dass ich kommen würde, dann müsstest du auch gewusst haben, dass ich dich für ein solches Vergehen vernichten werde.«
Henrietta hielt den Atem an. Eli sah wirklich verängstigt aus.
Calebs Miene wirkte nachdenklich. Er fuhr fort: »Meine Familie hat großes Erbarmen mit dir gehabt, Eli. Es gibt eine Reihe von Dingen, derer ich dich beschuldigen könnte.«
Eine Brise kam auf und raschelte durch das Gras. Die beiden Männer, die hinter Eli standen, ließen ihn nicht aus den Augen, ebenso wie die Männer, die um das Lagerfeuer saßen. Sogar der Hund zu Calebs Füßen rührte sich nicht. Nur ein Pferd stampfte.
»Es gibt manches, das man mir vorwerfen kann.« Elis Stimme klang matt und teilnahmslos. Henrietta begann vor Spannung zu zappeln. Sie öffnete den Mund, schloss ihn dann aber wieder.
Nach einer ganzen Weile begann Caleb erneut zu sprechen. »Eli, das Mädchen ist deiner Schwester, der Königin entflohen.«
Eli nickte.
»Und sie ist umhergeirrt und hat den verfallenen Ballsaal und die Pforte zu ihrer eigenen Welt gesucht.«
Eli schluckte und kniff die Augen zusammen.
»Warum hat sie sie nicht gefunden?«, fragte Caleb. »Sag die Wahrheit!«
»Weil …«, begann Eli und warf Henrietta einen Blick zu. Dann schwieg er wieder. Es wurde nun dunkel und die Schatten auf seinem Gesicht wurden immer tiefer und schwärzer. »Weil ich ihren Geist erspürt und ihn im Kreis geführt habe.«
Henrietta sprang auf. »Du hast dafür gesorgt, dass ich mich verlaufe? Warum hast du das getan? Du hast gesagt, die Pforte hinter mir sei verschlossen. Das stimmte also gar nicht?«
Eli zuckte die Schultern. »Vielleicht nicht.«
Henrietta spürte, wie ihr vor Wut Tränen in die Augen stiegen. Sie baute sich vor Eli auf.
»Henrietta«, sagte Caleb. Seine Stimme klang aufreizend gelassen. »Setz dich und beruhige dich.«
Aber so leicht war Henrietta nicht zu beruhigen. »Du bist gemein!«, sagte sie zu dem kleinen Mann. »Warum hast du das getan? Warum hast du mich von allem getrennt, von meiner
Familie, von meinen Eltern, von meinem ganzen Leben? Aus welchem Grund?«
Eine Hand fasste Henrietta am Arm. Sie drückte nicht fest zu, aber Henrietta wusste, dass sie es tun würde, sobald sie versuchte, sie abzuschütteln. Sie wurde herumgedreht und blickte mitten in Calebs düsteres Gesicht.
Er deutete mit dem Kopf auf den Baumstamm. »Setz dich«, befahl er. »Deine Fragen werden beantwortet werden.«
Henrietta konnte sich nicht vorstellen zu gehorchen. Sie hätte herumrennen und brüllen wollen. Gern hätte sie Eli oder sonst etwas einen Tritt versetzt, und zwar einen ordentlichen. Aber aus irgendeinem Grund wurde sie plötzlich ganz ruhig. Sie wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn und ging langsam zu dem Baumstamm hinüber.
»Es tut mir leid«, sagte Eli. »Irgendwie zumindest. Und ihre Frage ist nicht schwer zu beantworten. Ich bin ein Mann ohne Volk, ein Baum mit Ästen, aber ohne Wurzeln. Du fühlst das Blut aus dem Land sickern, du spürst das Knistern im Gras, während der Donner anschwillt. FitzFaeren bietet mir keinen Schutz. Und in Hylfing bin ich nicht willkommen. Beides habe ich ihrem Großvater zu verdanken. Aber sie kann erreichen, dass Hylfing in meiner Schuld liegt, sie kann mir vielleicht sogar ein Boot als Geschenk verschaffen oder eine sichere Überfahrt, hinweg von diesen Ufern. Durch sie könnte ich die Dankbarkeit einer Stadt erringen, die mich aus ihren Mauern verbannt hat.«
»Wie das?«, fragte Caleb.
»Caleb«, sagte Eli und lächelte. »Sind deine Augen wirklich so schwach? Du schuldest mir Dank. Ich habe mich auf diese
Reise begeben, um ein Mitglied deiner Familie zurückzubringen, die Tochter deines Bruders.«
Henrietta fuhr herum. Beinahe wäre sie von ihrem Baumstamm gefallen.
Caleb stand da und rührte sich nicht. »Die Tochter von Francis«, sagte er schließlich.
Und Eli nickte.
ACHTZEHNTES KAPITEL
H enry sah sich um. Er hatte seinen Rucksack geschultert und kniete im flachen Eingang von etwas, das halb Felshöhle, halb Stollen war. Der junge Zauberer befand sich an seiner Seite und der dicke Elf stand vor ihnen. Henry konnte den Berghang hinabsehen, über eine kleine
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