Fluch der 100 Pforten
Henrietta wissen. »Eine Adler-Art?«
Caleb schüttelte den Kopf. »Wir nennen ihn Schwarzer Sprey«, antwortete er. »Aber er hat auch andere Namen. Er ist kleiner als ein Adler, aber größer als ein Falke. Und klüger noch dazu.«
Henrietta betrachtete die Punkte auf den Flügeln des Vogels und dessen weiße Beine und Klauen. »Wie viele von denen hast du?«
Caleb lachte. »So viele, wie mir begegnen. Sie kennen mich und sie gehorchen mir. Aber ich halte sie nicht in Käfigen. Sie suchen sich ihre Partner, bauen Nester und ziehen Junge auf. Zurzeit begleiten uns fünf.«
»Und wo sind die anderen?«, erkundigte sich Henrietta.
Caleb streckte den Arm aus und der Vogel sprang hinauf. Caleb gab ein paar Zwitscherlaute von sich, dann warf er den Vogel in die Luft. Henrietta fühlte den Luftzug seiner mächtigen Flügel und instinktiv duckte sie sich. Der Vogel stieg langsam nach oben, zog einige Runden über den Baumkronen und flog schließlich davon.
»Sie sind auf Futtersuche«, erklärte Caleb. »Denn sie fressen nur Fisch, und für den müssen sie hier weit fliegen. Dieser Vogel hatte den ersten Fang und konnte als Erster fressen. Und nun wird er der Erste sein, der schläft. Wenn die anderen kommen, hat er schon den Kopf unter seinen Flügel gesteckt.«
Caleb streckte seine Beine von sich und sah Henrietta an. »Du hast auch eine weite Reise hinter dir. Was machen deine Knochen?«
»Die tun weh«, antwortete Henrietta. »Zwischendurch habe ich gehofft, dass du mich einfach vom Pferd fallen und mich liegen lassen würdest.«
Caleb lächelte, allerdings schien er abwesend. Offenbar hing er seinen eigenen Gedanken nach. Henrietta rutschte nervös auf ihrem Platz herum.
»Morgen wird es noch anstrengender werden«, sagte Caleb leise. »Wenn die Welt sich wieder aus dem Schatten erhebt und der Morgen anbricht, werden die Pferde schon getränkt und gesattelt sein. Dann haben wir eine weite Strecke vor uns, tiefer ins Gebirge hinein. Dort erwartet uns ein dunkles Tor. Ein Tor, von dem ich bete, dass es noch einen Tag länger passierbar bleiben möge. Und auf der anderen Seite liegen wieder neue Wege und neue Berge vor uns.«
»Und wenn dieses Tor verschlossen ist?«, wollte Henrietta wissen.
»Dann sind wir in den rauen Gebirgsschneisen verloren, mehr als fünfhundert Meilen von unserem Ziel entfernt.«
Henrietta riss die Augen auf. »Wir müssen noch fünfhundert Meilen weit reiten?«
»Nicht, wenn die Pforte noch sicher genug ist, um lebend hindurchzukommen. Jenseits davon sind es nicht mehr als fünf Meilen.« Caleb reckte seine Arme über den Kopf. »Wenn die Pferde nicht so erschöpft wären, würde ich die Nacht hindurch reiten.«
Henrietta konnte sich nun auch ein Gähnen nicht verkneifen. »Hast du vielleicht etwas zu essen?«, fragte sie. »Ich bin wirklich hungrig.«
Caleb erhob sich rasch und pfiff. Eine Gruppe von Männern hörte auf zu lachen und alle drehten sich gleichzeitig um.
»Bringt etwas, sobald das Essen heiß ist«, sagte Caleb und setzte sich. »Sie nehmen, was immer sie finden können, Kräuter und Wurzeln, und kochen sie mit unserem eingesalzenen Fleisch.« Er seufzte. »Und jetzt möchte ich deine Geschichte hören.«
Henrietta stützte den Kopf in die Hände. Wann und wo begann ihre Geschichte denn überhaupt? Bei ihrem Großvater, der für diese Fächer was auch immer getan hatte? Mit dem Tag, als Henry zu ihnen kam? Mit der Ankunft ihres Vaters, vor vielen, vielen Jahren? Sollte sie Caleb von der Hexe erzählen, die sie durch ein Fach geschoben und dadurch höchstwahrscheinlich das ganze Chaos ausgelöst hatten?
Sie holte Luft, setzte sich gerade hin und sagte die Wahrheit.
»Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.«
Caleb nahm seinen schwarzen Bogen in die Hand und l ächelte. »Bitte nicht bei der Erschaffung der Welt.« Er stützte eine der Hornspitzen auf seinen Fußrist, drückte den Bogen
einen Zentimeter zusammen und löste die Sehne vom oberen Ende. Der Bogen streckte sich, weil er jetzt nicht mehr zusammengehalten wurde, aber weniger stark, als Henrietta es erwartet hatte. Die schwarzen Hörner waren in sich immer noch ein wenig gebogen und öffneten sich erst an den spitz auslaufenden Enden.
»Benutzen hier alle Bogen aus Horn?«, fragte Henrietta. »Mein Vater hat mir mal einen auf einem Flohmarkt gekauft, aber der war aus gelbem Fiberglas.«
»Fiberglas kenne ich nicht. Aber hier verwenden wir meistens Esche oder Eibe. Diesen Bogen hat mir mein Vater von
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