Fluch der 100 Pforten
»Wenn ich gerufen werde, dann gehe ich. Aber noch ist dieser Ruf nicht erklungen.«
NEUNZEHNTES KAPITEL
B is auf einen winzigen Lichtfleck in der Nähe der Decke war es in der Zelle vollkommen dunkel. Henry konnte noch immer nichts sehen. Längliche Schatten wimmelten und wanden sich in der Dunkelheit. Aber etwas Genaues war nicht zu erkennen.
Er hob die Hand, um das goldene Brandmal in seiner Handfläche anzusehen. Da war es. Es leuchtete und war deutlicher und schärfer zu erkennen denn je, und es bewegte sich umso schneller, je länger er es betrachtete. Sein Kopf begann wieder zu schmerzen und hinter seinen Augen pochte es bis tief in seinen Schädel hinein. Und dann – ganz plötzlich – konnte er sehen .
Der Raum hatte dicke Mauern, die an einigen Stellen aus gestampftem Lehm bestanden, an anderen mit Holz getäfelt waren. Wenn Henry seine Augen zu lange auf etwas richtete, begann sich alles in einzelne Fasern aufzulösen, die nur irgendwie ineinander verwoben waren.
»Es gibt so viel Magie«, sagte er langsam. »Überall. Alles ist irgendwie magisch.«
Monmouth stöhnte. Er lag auf dem Boden. Auf der Stirn,
unter seinen schwarzen Haarfransen, hatte er eine Beule. Sein Gesicht war verschmiert. Er hob die rechte Hand an die Schläfe und Henry konnte das Brandmal in seiner Handfläche sehen. Es war grün und flackernde Silberblitze zuckten hindurch.
»Du befindest dich im Inneren eines Elfenbergs«, sagte Monmouth. »Alles, was es auf der Welt gibt, besitzt eine verborgene Kraft, eine geheime Magie. Hier wird sie verdoppelt und verdreifacht und auf verschiedenen Ebenen sichtbar gemacht.«
Henry blinzelte. Er fragte sich, wie lange er es aushalten würde, so zu sehen, bevor sein Kopf explodierte. Die Tür bestand aus fest ineinander verflochtenen Weidenruten, die Decke aus grünlichem Lehm und von ihrer Mitte hing eine einsame Lampe ohne Kette herab. Henry konnte die tanzenden Fasern sehen, von denen sie gehalten wurde, aber er wusste, dass sie verschwinden würden, wenn er wieder zu seiner normalen Sehweise zurückkehrte. Überhaupt würde all das hier verschwinden.
Er schloss die Augen, um seinem Kopf eine Pause zu gönnen. »Und wie geht es jetzt weiter?«
Monmouths Stimme klang müde und angestrengt. »Offenbar warten wir auf das Zusammentreten des Komitees.«
»Hast du eigentlich auch immer solche Kopfschmerzen, wenn du … du weißt schon, wenn du siehst?«, fragte Henry. Er presste seine Fingerknöchel gegen seine Augenbrauen und dieser Druck war tatsächlich eine Erleichterung.
»Nein«, antwortete Monmouth. »Früher, vor einigen Jahren allerdings schon. Aber man gewöhnt sich daran. Im Moment
habe ich Kopfschmerzen, weil mir jemand eins übergezogen hat, als sie uns weggeschleift haben.«
»Warum das?«
»Weil ich mich gewehrt habe. Sie haben versucht, meine Beine zu lähmen. Aber dann haben sie doch auf eine ältere Technik zurückgreifen müssen.«
»Wie geht es denn nun weiter?«, fragte Henry noch einmal.
»Ich werde jetzt schlafen«, antwortete Monmouth.
»Schlafen? Warum?«
»Weil ich im Schlaf keine solchen Kopfschmerzen habe. Du kannst ja dort mit mir sprechen.«
»Wie bitte?«, fragte Henry. Aber Monmouth schwieg. »Monmouth?«
Kurz darauf erklang das entspannte Atmen des jungen Zauberers in der Dunkelheit. Henry stand auf, sah umher und ignorierte den Schmerz in seinem Schädel. Er ging zur Tür und drückte dagegen. Eine Klinke oder einen Riegel gab es nicht, daher konnte er nicht ziehen.
Aber schon nach allzu kurzer Zeit wurde der Kopfschmerz übermächtig und wenn Henry sich umsah, wurde ihm schwindelig. Er sah den Raum auf mindestens drei verschiedene Arten: dunkel und unscharf, klar und deutlich und als Drittes von Magie wimmelnd. Aber keine dieser Sehweisen brachte ihn weiter. Daher legte er sich auf den Boden und schloss die Augen.
Sie dankten es ihm.
»Ich habe schon gewartet«, sagte Monmouth. »Dein Traum ist sehr stark. Als er sich näherte, konnte ich meinen eigenen Traum nicht mehr weiterträumen.«
»Wie bitte?«, fragte Henry. Sie saßen in der Mitte des Raumes beieinander. Er war jetzt hell und übersichtlich. Nichts wimmelte. Die Wände bestanden aus Lehm und aus Holz und nichts weiter. Alles war viel normaler als in Wirklichkeit.
»Deine Vorstellungskraft ist stärker als meine«, sagte Monmouth.
Er lächelte und Henry bemerkte, dass die Beule verschwunden war. Sobald Henry an sie dachte, tauchte sie allerdings wieder auf.
Monmouth verzog das
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