Fluch der 100 Pforten
Zweige hindurchbrachen und über einen Fluss sprangen. In der Luft kreischten die Vögel und der riesige schwarze Hund überholte sie, lief voraus und setzte vor ihnen über umgefallene Baumstämme hinweg.
Der schwere Hufschlag und das Getöse, mit dem die Pferde durch Gras und Unterholz pflügten, machten ein Gespräch unmöglich. Während das Pferd zwischen ihren Beinen wie eine Lokomotive stampfte, hielt Caleb Henrietta mit seinem Arm fest. Ein Stück voraus waren ein paar Reiter stehen geblieben. Der Hund mischte sich unter sie, sprang dann aber zwischen ihnen hervor und schnüffelte sich in Kreisen durch das Gras. Er spürte eine tote Wachtel auf und noch ein anderes kleines Tier, ein Kaninchen oder ein Erdhörnchen oder was auch immer.
Auch Caleb brachte sein Pferd zum Stehen. Es tänzelte und stampfte mit den Hufen, beruhigte sich aber, als zwei weitere Reiter zu der Gruppe hinzustießen. Ein in Decken gehüllter Körper war hinter dem ersten Reiter auf das Pferd aufgebunden. Der andere Reiter führte ein herrenloses Pferd an einem Strick. Auf ihm lagen zwei weitere Tote.
Als die Männer alle beisammen waren, begann Caleb zu sprechen:
»Wir werden unser Essen zu Pferd einnehmen müssen. Ihr alle, bitte vergebt mir. Wir hätten die Nacht hindurch reiten sollen, aber ich habe die Gefahr nicht richtig eingeschätzt. Es wäre besser gewesen, wenn die Pferde unter uns zusammengebrochen wären, als diese drei Männer zu verlieren.« Er deutete mit dem Kopf auf die Leichen. »Betet für sie, während wir unseren Weg fortsetzen. Der Gedanke, dass ihre Kraft den Feind nährt, ist mir unerträglich.« Der Fuchs drehte sich um und stampfte. »Wir werden unser Bestes geben. Aber sterben dürfen unsere Pferde erst jenseits des Tores.«
Die Männer nickten und wendeten ihre Pferde. Einige
Tiere waren gesattelt, andere hatten kein Zaumzeug. Die Augen aller Pferde waren weit aufgerissen und ihre Nüstern blähten sich, sodass sie größer waren als Henriettas Faust. Die Gesichter der Männer waren hart wie Stein.
Caleb schnalzte wieder mit der Zunge. Der Körper seines Pferdes spannte sich und es galoppierte auf eine Lücke zwischen den Bäumen zu, nun allerdings nicht mehr ganz so schnell. Ein schwarzer Schatten schob sich in Henriettas Blickfeld und sie sah, dass der Hund neben ihnen herlief.
»Die Toten. Woran sind sie gestorben?«, fragte sie. Sie musste schreien, damit Caleb sie hörte. Dabei war ihr Hals wie zugeschnürt.
Sie setzten über einen Baumstamm hinweg und über einen kleinen Fluss und Henriettas Kopf stieß gegen den Hals des Pferdes. Sie wäre hinuntergefallen, wenn Caleb sie nicht so gut festgehalten hätte.
Er sprach sehr ruhig. »Sie haben aus dem Fluss getrunken, genau wie das Pferd. Zwei Vögel sind ebenfalls umgekommen.«
Das erklärte für Henrietta überhaupt nichts. Am vergangenen Abend hatten alle Pferde aus dem Fluss getrunken. Und auch ihr hatte man dieses Wasser gegeben. »Wie kann das sein?«
»Hexerei«, antwortete Caleb. »Die neue Gebieterin des Zauberers macht Ernst, und wir werden zu hoch im Norden überrascht. Wenn die Pferde nicht schnell genug sind, können auch von uns noch einige vor Sonnenuntergang sterben.«
»Sind sie hinter uns her?«
»Noch nicht. Aber bald. Morgen vielleicht. Oder in ein paar
Stunden. Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass sie uns wirklich folgen. Sie werden uns voraus sein, in den Bergen um meine Stadt herum.« Caleb seufzte. »Die Hexe ist viel stärker, als ich geahnt habe. Ihr Sog durchzieht den Boden und die Wasserläufe. Alles, was schwach ist, hat den Kampf bereits aufgegeben und ist gestorben. Die Stärkeren fliehen, sonst müssen sie ebenfalls sterben. Wir werden kein Wasser anrühren, bevor die Landschaft nicht wieder grünt.«
Henrietta dachte an den vergangenen Abend. »Ist Eli auch bei uns?«
»Er hat seine eigene Entscheidung getroffen. Er hat heute Nacht einen Umhang und ein Pferd gestohlen und ist geflohen. Stets in der Angst, dass der Tod über ihn kommen könne. Das ist für ihn immer noch eine furchtbare Vorstellung.«
»Hast du denn keine Angst zu sterben?«, fragte Henrietta. Sie selbst hatte jedenfalls Angst davor.
»Ich bin mit dem Tod zu Pferde gesessen und bin neben ihm einhergeschritten. Manche sagen, ich hätte ihn gesucht. Es wäre nicht schwer gewesen, ihn zu finden, aber zunächst suche ich den Tod meiner Feinde. Und der ist bedeutend schwerer zu finden.«
Caleb schwieg einen Augenblick, dann sprach er weiter.
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