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Fluch der 100 Pforten

Fluch der 100 Pforten

Titel: Fluch der 100 Pforten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Wilson
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Tieres.
    »Vor vielen, vielen Jahren, in den guten Zeiten, hat ein Mensch diesen Brunnen geschaffen«, hatte einer der Männer gesagt. Seine Stimme klang belegt, und Henrietta wunderte sich nicht darüber. Es war das erste Mal, dass überhaupt einer der Männer sprach. »Ein Mann mit Gespür in jeder Fingerspitze. Der Brunnen ist nicht zerstört worden.«
    »Ein Mensch?«, hatte Henrietta nachgefragt. »Seid ihr etwa keine Menschen?«
    Der Mann hatte nicht geantwortet und der andere würdigte Henrietta nicht mal eines Blickes. Sie hatten sie weitergezogen, am Brunnen vorbei, über die Hofanlage und durch einen schmalen Durchgang in einer Mauer zu einem mit Holzstämmen beladenen Karren, der dort stand. Ein großer, schwerfälliger Ochse war bereits angespannt und weidete gemächlich. Die Männer hatten Henriettas Handgelenke und Knöchel zusammengebunden, sie auf den Holzstapel gesetzt und mit den Beinen an einen der Stämme gefesselt.
    Und dann waren sie losgefahren, viele Kilometer weit auf einer kaum erkennbaren Straße, durch sanfte Hügel, die zum
Teil bewaldet, zum Teil mit Gras bewachsen, aber stets heiß und trocken waren.
    Henrietta hatte die Männer gefragt, wohin sie fuhren. Und ob sie Eli FitzFaeren kannten. Ob sie sie zu ihm bringen konnten. Oder ob sie Eli sagen konnten, dass sie hier war. Aber die Männer hatten sie nicht beachtet und nur leise miteinander gesprochen, sodass Henrietta sie nicht hören konnte.
    Während der ganzen gemächlich dahinschaukelnden Fahrt hatte Henrietta versucht, sich gewisse Punkte in der Landschaft zu merken – abgeknickte Bäume, Steine an einem Bach, kleine, kaputte Häuser oder Scheunen, die mit Brombeeren bewachsen waren. Aber während die Sonne höher gestiegen war und allmählich wieder zu sinken begonnen hatte, waren abgeknickte Bäume auf abgeknickte Bäume gefolgt. An den Bächen hatten immer wieder Steine gelegen und die Hügel waren fast alle von Brombeeren übersät, die an schräg stehenden Wänden nagten und löchriges, graues, splitterndes Holz überwucherten.
    Weil ihr die Sonne ins Gesicht knallte und allmählich ihre tränenden Augen verbrannte, hatte Henrietta die Augenlider zugekniffen. Aber das Zukneifen hatte nichts gebracht, darum hatte sie sich zurückgelehnt, den Arm über das Gesicht gelegt und die Augen geschlossen.
    Wenn es ihr gelingen würde zu fliehen, müsste sie einfach nur der Straße folgen.
     
    Henrietta hörte Stimmen. Sie wusste nicht, wie lange sie in der Dunkelheit gesessen hatte, aber allmählich bekam sie Hunger. Und Durst. Sie hätte gern einen Eiswürfel gehabt,
den sie zwischen die Lippen nehmen oder über die Zähne rattern lassen oder in die Backentasche hätte stecken können. Und getrunken hätte sie jetzt so ungefähr alles.
    Sie dachte gerade darüber nach, ob sie vielleicht schreien und gegen die Wände treten sollte, als endlich die Tür aufging. Sie wandte ihren Kopf vom einfallenden Licht ab und kniff die Augen zu. Niemand ergriff sie. Es kam noch nicht mal jemand herein, um sie zu holen. Die Tür stand einfach nur offen. Nachdem sie kurz geblinzelt hatte, trat sie hinaus auf den kleinen Flur, über den man sie hierher gebracht hatte.
    Am anderen Ende stand einer der Männer. Er deutete mit dem Kopf auf eine Tür vor ihm und verschränkte die Arme. Henrietta ging auf ihn zu. Sie war ein bisschen unsicher, hoffte aber, dass das nicht weiter auffiel. Sie hätte versuchen können, den Mann umzustoßen. Er war eigentlich nicht größer als sie. Aber in diesem Moment spürte sie seinen Griff. So wie es schien, hätte er sie ohne weiteres in der Mitte durchbrechen können.
    Trotzdem lächelte sie ihn an. Wobei es eher ein Grinsen wurde. Er ignorierte es, wartete ab, und nachdem sie durch die Tür getreten war, folgte er ihr.
    Der Raum erstrahlte in hellstem Sonnenlicht, aber eine sanfte Brise wehte durch die geöffneten Fenster herein, sodass es nicht heiß war. Zwei Stühle standen vor einem kleinen Sofa, und dazwischen ein Tisch. Hinter den Stühlen blickten Sprossenfenster auf einen Garten hinaus. Davor konnte man zwischen Rosensträuchern die Augen und die Hörner einer Ziege sehen.

    Eine Frau mit strengen Gesichtszügen, ledrigen Wangen und schlohweißem Haar saß auf einem der Stühle. In ihrem Schoß lagen ein Paar Gartenhandschuhe. Sie sah Henrietta an und deutete auf das kleine Sofa. Ihr Gesicht war ausdruckslos, aber Henrietta glaubte, ein Lächeln in ihren Augen entdeckt zu haben.
    »Joseph«, sagte die Frau

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