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Fluch der 100 Pforten

Fluch der 100 Pforten

Titel: Fluch der 100 Pforten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Wilson
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unvermittelt. »Der Efeu ist schon wieder durch das Fenster gekommen. Bitte sei so gut und entferne ihn.«
    Der Mann ging zum Fenster, schob zwei verirrte Efeuranken von der Fensterbank und bog sie nach draußen.
    Nun sah die alte Frau Henrietta in die Augen. »Efeu ist ein Fluch«, sagte sie. »Und das sogar auf doppelte Weise, denn ich finde es eigentlich hübsch, wenn er hochklettert und mir die Wände zerstört.«
    Henrietta lächelte, aber die alte Frau lächelte nicht zurück.
    »Da steht eine Ziege in Ihren Rosen«, sagte Henrietta.
    »Ja«, sagte die Frau. »Aber sie wird sie nicht fressen. Einmal hat sie es getan, und einmal reicht für immer.«
    Sie wandte sich wieder an den Mann. »Joseph, wo ist dein Bruder?«
    »Er lädt das Holz ab, Gnädigste.«
    »Hilf ihm.«
    »Ja, Gnädigste.«
    Ohne Henrietta eines Blickes zu würdigen, verließ Joseph das Zimmer und schloss die Tür.
    Sobald die Tür zu war, entspannte sich die Frau auf ihrem Stuhl sichtlich und musterte Henrietta von Kopf bis Fuß. Ihr Gesicht verwandelte sich in ein Lächeln, das ebenso strahlend
und ansteckend war wie unerwartet. Henrietta musste einfach zurücklächeln.
    »Meine Enkel sind immer so ernst«, sagte die Frau. »Sie fühlen sich sicherer, wenn ich es auch bin. Bitte …«, sie beugte sich vor und nahm ein Tuch von einem Tablett, das auf dem Tisch stand, »iss, wenn du hungrig bist.«
    »Danke«, sagte Henrietta. Obwohl sie von den Enkeln dieser Frau gefesselt, entführt und dann in eine ihrer Kammern gesperrt worden war, wollte sie nicht unhöflich sein. Nicht dieser vornehmen Dame gegenüber. Sie hatte etwas ganz Besonderes, die vollkommene Gewalt über ihre Umgebung, eine sanfte Kraft unter einem harten Äußeren. Etwas ganz Spezielles. Vielleicht lag es an den strahlenden Augen oder dem weißen Haar über dieser sonnengebräunten Haut. Henrietta brauchte die Frau nur anzusehen, um sich schrecklich ungehobelt vorzukommen. Ohne es zu bemerken, saß sie plötzlich kerzengerade da, hatte ihre Hände in den Schoß gelegt und die Beine geschlossen und an den Knöcheln verschränkt.
    Vor ihr auf dem Tablett lag ein bräunliches Stück grobfaseriger Fisch, ein Teller mit etwas, das aussah wie dicke Scheiben Bauernkäse und eine Schale eiförmiger Oliven mit Stein.
    »Entschuldige bitte, wegen des Fisches«, sagte die Frau. »Joseph findet, dass Fisch und Fleisch immer geräuchert werden müssen – und zwar ordentlich. Ich habe ihn im Verdacht, dass er auch Äpfel räuchert, wenn ihn niemand sieht. Möglicherweise hat er die Oliven auch geräuchert. Ich habe sie noch nicht gekostet. Der Käse jedenfalls, soviel kann ich
dir versichern, ist allein das Werk meiner Ziege und er hatte nicht den geringsten Kontakt mit Joseph und seinem Hickory-Rauch.«
    Henrietta beugte sich vor, brach ein kleines Stück Fisch ab und schob es in den Mund. Es schmeckte nach verbranntem Salz. Aber sie hatte Hunger. Sie brach ein größeres Stück ab, behielt es in der Hand und aß in kleinen Bissen davon. Servietten oder Teller gab es nicht.
    »Du heißt Henrietta Willis?«, fragte die alte Frau.
    »Ja«, antwortete Henrietta. »Woher wissen Sie das?«
    Die alte Frau kniff die Augen zusammen. »Es steht auf deiner Stirn.«
    »Wie bitte?« Henrietta strich sich die Haare zurück und befühlte ihre Stirn mit den Fingern. »Wo denn? Und wieso?«
    Die Frau lächelte. »Da steht überhaupt nichts. Du hast es meinen Enkeln gesagt, Benjamin und Joseph.«
    Henrietta ließ ihre Hände sinken. Sie fühlte, wie ihre Wangen heiß wurden. Wenn sie sich schämte, wurde sie immer ärgerlich, und wenn sie ärgerlich war, begannen ihre Wangen zu glühen.
    »Warum bin ich hier?«, fragte sie. »Ich muss zurück nach Hause.«
    »Du bist ein menschliches Wesen, das in die Ruinen des kleinen Ballsaals von FitzFaeren eingedrungen ist. Zuhause ist weit weg.«
    »Ich bin nicht eingedrungen«, erwiderte Henrietta. »Ich habe nur meinen Cousin gesucht. Und der ist auf der Suche nach Eli FitzFaeren.«
    »Du kennst Eli?«, fragte die Frau ruhig.

    Henrietta zuckte die Schultern. »Er hat zwei Jahre bei uns gewohnt.«
    »Hat er das?« Die Frau nahm ihre Gartenhandschuhe und schlug damit auf die Armlehne ihres Stuhles. Henrietta sah Staub aufsteigen, der von der Brise, die durch das Fenster wehte, davongetragen wurde. »Weißt du, dass in der Nacht unserer Vernichtung, der ersten und einzigen Nacht, in der Feinde unseres Volkes Gelegenheit hatten, unsere Mauern einzureißen, Eli ebenfalls

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