Fluch der 100 Pforten
Nachlaufen.«
Er nahm Dotty ein Kopfkissen ab und ging in die Knie. Dann stopfte er das Kissen in den Schrank und schob es mit seiner Flinte nach vorn. Die Taschenlampe in der Hand und seine Flinte mit sich schleifend, kroch Frank in den Schrank hinein.
In Großvaters Zimmer war es dunkel. Ein kalter Wind wehte durch die leeren Fenster herein. Nervöses Atmen war zu hören.
Kurz darauf hörten sie Franks Stimme. Sie klang wie aus weiter Ferne.
»Alles klar!«, rief er. »Penny zuerst!«
In der Dunkelheit ging Penny auf die Knie.
Der Mond war von Wolken verhangen. Henrietta suchte sich vorsichtig ihren Weg über Berghänge und Hügel. Sobald das Haus der alten Frau nicht mehr zu sehen gewesen war, hatte sie die Straße verlassen. Aber kaum war die Sonne untergegangen, wünschte sie, sie hätte es nicht getan. Jetzt glaubte sie nicht, die Straße jemals wiederfinden zu können. Ob sie
auf ihr lief oder sie vielleicht kreuzte – sie würde es gar nicht mitbekommen.
Der Rand einer Wolke färbte sich silbern und mit einem Mal breitete sich das Licht des Vollmondes auf dem Boden aus. Henrietta blieb stehen und sah sich um. Sie stand auf einem Berg. Eine Gruppe von Bäumen drängte sich an dessen Fuß. Eine neue dicke Wolke glitt über den Himmel dem Mond entgegen. Henrietta musste sich beeilen. Sie musste den Berggipfel erreichen, solange sie Licht hatte. Oben würde sie sich dann für eine Richtung entscheiden.
Sie drehte sich um, machte zwei vorsichtige Schritte den Hang hinauf und begann dann zu laufen.
Kansas hat zwar ein paar Berge, aber Henrietta hatte nicht allzu viele davon kennengelernt. Sie hatte gerade die Hälfte der Strecke hinter sich, als das Licht wieder verschwand. Heftig atmend und die Hände gegen ihre Knie gepresst, ging sie langsam weiter. Den Fisch und die Oliven hatte sie längst verdaut, und jetzt hatte sie solchen Durst, dass sie hoffte, eine dieser Wolken bringe Regen. Zu laufen machte die Sache auch nicht gerade besser.
Im Dunkeln kam sie auf dem Gipfel an. Sie setzte sich auf den Boden und ließ sich auf den Rücken fallen.
Irgendetwas glitt ihr ins Hosenbein und kitzelte. Sie fuhr hoch und schlug darauf. Dann griff sie in ihr Hosenbein, stieß auf einen langen Grashalm und zog ihn heraus.
Sie überlegte, ob man sie wohl suchte. Ob Benjamin und Joseph alle ihre Freunde mit den ernsten Gesichtern zusammengetrommelt und Taschenlampen verteilt hatten? Ob sie die Felder durchkämmten? Vielleicht hatten sie ja Hunde …
Vielleicht waren sie aber auch schon wieder zurück auf FitzFaeren, saßen herum und warteten, dass sie wiederkam. Sie hatten keinen Grund zur Eile. Sie wussten, dass es nur einen einzigen Fluchtweg gab. Vielleicht wussten sie sogar, durch welches Fach Henrietta gekommen war. Wenn dem so war, brauchten sie allerdings auch gar nicht auf sie zu warten. Vielleicht waren sie längst in Kansas, durchwühlten Großvaters Sachen und suchten nach was auch immer sie für das Diebesgut hielten.
Henrietta stand auf. Die Wolke über ihr schimmerte.
Wo waren Henry und Richard? Sie hatten gesagt, sie wollten nach FitzFaeren, um Eli zu suchen. Aber ganz offensichtlich waren sie nicht hier. Denn Benjamin und Joseph hätten sie bestimmt auch geschnappt. Oder sie hatten alles aus der Entfernung mit angesehen. Vielleicht hatten sie sich irgendwo im Saal versteckt und zugeguckt, wie sie festgenommen worden war.
Okay, sie wusste ja gar nicht genau, ob Richard und Henry überhaupt hier waren. Abgesehen davon, dass sie sie darüber sprechen gehört hatte und dass sie verschwunden waren und das Fach auf FitzFaeren gestellt gewesen war. Aber der Schlüssel hatte unter Henrys Kissen gelegen. Wie mochte das überhaupt gegangen sein? Hatten sie etwa Großvaters Tür aufgeschlossen und waren dann noch mal nach oben gegangen, um den Schlüssel unter das Kissen zu schieben? Vielleicht. War ja keine schlechte Idee. Damit man nach ihnen sehen konnte, falls etwas schiefging. Und wenn alles glattging, konnten sie einfach zurückkommen und keiner hätte etwas bemerkt. Henriettas Hand fuhr in ihre Tasche und ihre Finger
ertasteten durch den Jeansstoff hindurch den starren Umriss des Schlüssels. Sie war nicht so umsichtig gewesen. Nach ihr würde keiner suchen. So viel war ihr klar. Nach ihr konnte keiner suchen.
Eine Mondhälfte tauchte auf und wanderte durch einen Spalt zwischen den Wolken. Henrietta drehte sich langsam um sich selbst und versuchte sich alles einzuprägen. Links von ihr lag der
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