Fluch der Engel: Roman (German Edition)
Racheengel daneben.«
Anstatt mir den weiblichen Engel mit den langen dunklen Haaren genauer anzusehen, flüchtete ich in den angrenzenden Garten. Meinem Ebenbild in die Augen zu schauen, während zu seinen Füßen Christophers Schattengestalt kauerte, verkraftete ich noch viel weniger.
Raffael schenkte mir ein paar Minuten, bevor er mir folgte. »Warum auch immer du hier bist, ich werde nicht zulassen, dass er dir etwas antut«, erklärte Raffael mit einer Entschlossenheit, die mir ins Herz schnitt.
Spielte er mir etwas vor? Sanctifers Spiel? Oder meinte Raffael es ernst? Aber was konnte ein Flüsterer gegen einen so mächtigen Engel wie Sanctifer schon ausrichten?
Raffael spürte meine Zweifel und setzte nach. »Ich kenne den Palast ebenso gut wie das verfallene Gegenstück in meiner alten Welt. Falls du jemals einen Zufluchtsort brauchen solltest, weiß ich, wo du ihn finden kannst.« Raffaels Gesicht glühte voller Erinnerungen. Sich in Schlupflöchern zu verbergen schien ebenso ein Teil seiner Vergangenheit zu sein, wie Sanctifer zu gehorchen. Ob er vor seinem Ziehvater oder vor etwas anderem geflohen war, wollte ich lieber nicht wissen. Ein Ungeheuer in der Nähe zu haben reichte vollkommen.
Zwischen Raffael und mir stellte sich eine gewisse Vertrautheit ein. Ich war ihm dankbar, dass er sich nicht nur tagsüber, sondern auch abends um mich kümmerte, wenn Sanctifers Meute über mich und die reichgedeckte Tafel herfiel oder im Atrium wieder einmal fremde Finger meine Arme entlangstreiften. Leider war meine Geduld nicht endlos.
Als einer der Übergriffe dreister wurde, rastete ich aus undschubste den Engel mit dem weißgepuderten Lockentoupet ins nächstbeste Wasserbecken. Sein Versuch, eine Hand in meinen Ausschnitt zu schieben, ging entschieden zu weit!
Raffael bewahrte mich davor, ihn zu ertränken. Mit einem eisernen Griff, den ich ihm trotz seiner athletischen Größe nicht zugetraut hätte, zog er mich aus dem Brunnen und nahm mich beiseite.
»Das hättest du besser nicht getan«, erklärte er, was ich mir schon selbst zusammengereimt hatte. »Es wird sie nur noch mehr anstacheln.«
»Und was bitte soll ich dagegen tun? Schließlich kann ich nichts dafür, dass ich ein Racheengel bin«, antwortete ich vielleicht ein wenig zu verzweifelt.
Raffaels mitfühlender Blick heftete sich auf mich. Ich wandte mich ab. Seine Nähe bereitete mir plötzlich Magenschmerzen. Der wunderschöne Raffael mit der schulterlangen, schwarzen Mähne, der in Sanctifer den Vater sah, den er nie hatte, durchschaute mich in letzter Zeit viel zu gut.
Sanctifer hatte ihn aufs Internat geschickt, um mich zu bespitzeln und aus meinen Schwächen Nutzen zu ziehen. Warum sollte sich das hier geändert haben? Raffael als einfühlsamen Lehrer einzusetzen, passte zu Sanctifers Vorgehensweise. Es würde den Streit in der Bibliothek erklären und auch, warum Sanctifer sich bislang zurückhielt: In einem Moment zuzuschlagen, in dem ich mich sicher fühlte, war grausam und effektiv zugleich. Hilflosigkeit schwächte nachhaltiger als körperliche Folter. Eine Methode, die der Schlächter des Rats nicht zum ersten Mal einsetzte – auch ein in seinem Schatten gefangener Engel war hilflos. Wenn ich hier nicht untergehen wollte, durfte ich mich nicht von Raffael abhängig machen. Den nächsten Grapscher würde ich ohne seine Hilfe in die Flucht schlagen.
Seit ich hier war, hatten sich meine Spangen kein einziges Mal aktiviert. Warum sollten jetzt plötzlich meine Klauen durchbrechen, sobald mich einer von Sanctifers Gästen blöd anmachte? Ganz davon abgesehen, war es Christopher und nicht Sanctifer gewesen,der mir bei meinem ersten und bislang einzigen Klauentraining erklärt hatte, dass ich lernen müsse, nicht nur meine Flügel, sondern auch meine Klauen zu akzeptieren.
Entschlossen, das endlich zu tun, drängte ich Raffael in die Bibliothek. Dort waren wir ungestört.
»Weißt du, wie ich meine Spangen loswerden kann?«
Raffaels Pupillen zogen sich zusammen. »Warum willst du das wissen?«, wich er meiner Frage aus.
»Weil ich sie gerne ablegen möchte.«
»Und warum gerade jetzt?«
»Weil ich mich nicht länger von einem Flüsterer beschützen lassen will.«
Das mit dem Flüsterer hätte ich besser weglassen. Raffaels Verbitterung spiegelte sich nicht nur auf seinem ebenmäßigen Gesicht, sondern auch in seinen schwarzen Augen wider. Anstatt aufzuzählen, wie hilfreich so ein Flüsterer sein konnte, machte er auf dem Absatz
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