Fluch der Engel: Roman (German Edition)
Sanctifer sicher als Schuldspruch gewertet. Und ich wusste noch nicht mal, was Raffael ausgefressen hatte – abgesehen davon, dass er sich von mir hatte überlisten lassen und ich nicht vorhatte, ein Urteil zu fällen.
»Du als Racheengel besitzt ein Gespür für dämonische Veranlagungen«, klärte Sanctifer mich auf. »Deshalb möchte ich von dir wissen, in welchem der beiden das größere Potential schlummert.«
Ich verweigerte die Antwort. Nahm Sanctifer mich gerade auf den Arm? Massimo war ein im Totenreich geprüfter Engel und Raffael ein heimtückischer Flüsterer, den die Totenwächter vermutlich nicht durchlassen würden.
Mein Versuch, einfach aufzustehen und zu gehen, scheiterte. Vier Hände drückten mich auf meinen Stuhl zurück. Zwei von Sanctifers Schergen standen hinter mir und zwangen mich, sitzenzubleiben.
Doch ich war weder Sanctifers Racheengel noch sonst einer seiner unterwürfigen Lakaien. Ein kurzes Wegducken, danach eine schnelle Drehung, und ich war frei. Kurzzeitig. Gabriella war kampfbereit – und schnell. Und im Gegensatz zu meinen waren ihre Klauen bereits ausgefahren.
Ich schrie, als ihre Krallenhände meine Arme zurückbogen – ihr dämonisches Wesen setzte mir zu. Aber anstatt mir ihre Klauen durch die Haut zu bohren – was sie sicher gerne getan hätte –, wartete sie auf Sanctifers Befehl. Sie hatte sich ihm unterworfen, obwohl sie wusste, dass er sie einst in eine Falle gelockt hatte. War er wirklich so mächtig?
Doch Gabriellas Nähe machte mich nicht nur wütend. Sie war ein Engel gewesen und hatte geliebt. War nichts mehr davon übrig geblieben?
Ich drängte mein Mitleid für den einstigen Racheengel beiseite. Sie war nur noch ein dämonischer Schatten. Das Gefühl, ihr zugleichen, blieb: Ich hatte Christopher belogen und mich auf Sanctifer eingelassen. Meine Liebe verraten, anstatt ihr zu vertrauen – wie Gabriella. Sie war wie ich und ich wie sie.
Mein Widerstand erlahmte. Anstatt mich aus den Klauen des Schattenengels zu winden, gab ich auf. Gegen Gabriella zu kämpfen erschien mir plötzlich sinnlos. Wie sie würde ich zu einem Schatten werden, wenn ich meiner Wut erlaubte, zu wachsen – und das wollte ich nicht!
Sanctifer erkannte seine Niederlage. Mit einem zornigen Funkeln in seinen hellen Augen befahl er seinem Schatten, mich loszulassen. Gehen durfte ich nicht. Sanctifer erwartete eine Entscheidung von mir.
»Wen von beiden soll ich nun deiner Meinung nach bestrafen? Raffael oder Massimo?«, hakte er noch einmal nach.
»Keinen von beiden!« Während Massimos Blick trotz Freispruch ängstlich zwischen mir und Gabriella hin und her huschte, verzog Raffael keine Miene, als ich mein Urteil sprach.
»Das geht leider nicht«, erklärte Sanctifer. »Schließlich muss jemand die Schuld für deine Flucht auf sich nehmen.«
»Das werde ich sein«, antwortete ich selbstbewusst, nachdem ich den Kloß geschluckt hatte, der mir die Kehle zuschnüren wollte. Ich konnte unmöglich zulassen, dass jemand meinetwegen bestraft wurde.
Sanctifer erhob sich von seinem Thron und kam auf mich zu. Als wären wir die besten Freunde, legte er seinen Arm um meine Schultern und nahm mich beiseite. Ich hielt still – Gabriella stand hinter uns.
»Die Schuld auf dich nehmen. Das tust du doch schon«, erklärte Sanctifer geduldig. »Aber wenn du dich nicht entscheiden willst, kann ich auch beide bestrafen.«
Ich zuckte zusammen. Sanctifer lächelte und führte mich zu dem braunhaarigen, noch immer knienden Massimo, was mir die Gelegenheit bot, seiner Umarmung zu entkommen. Der süße Marzipanduft des knienden Engels war alles andere als dämonisch.
»Massimo sollte die Insel überwachen – und hat dich aus den Augen verloren. Raffael hingegen war für deine Sicherheit verantwortlich – und ließ sich von deinem Charme fesseln. Wem soll ich nun die Schuld geben? Dem Engel oder meinem Sohn?«
Ich warf Raffael einen entsetzten Blick zu. Sanctifer nannte ihn seinen Sohn . Doch in Raffaels dunklen Augen spiegelte sich weder Überraschung noch Abscheu – für ihn hatte Sanctifer in dem Moment die Vaterrolle übernommen, als er ihn aus dem Feuer gerettet hatte.
»Und, was meinst du?« Sanctifer schlug den Gutmütiger-Onkel-Ton an. »Wer von den beiden besitzt den größeren Dämonenanteil?«
»Ich wüsste nicht, was das mit meinem kleinen Ausflug zu tun haben sollte«, wehrte ich ab.
»Zugegeben, nur wenig«, gestand Sanctifer. »Aber da ich mich auf Gabriellas Urteilskraft
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