Fluch der Engel: Roman (German Edition)
zurückgegeben hatte, damit ich die Portale benutzen konnte.
»Und … und wie soll ich dann ins Schloss kommen?«, fragte ich beunruhigt.
»Ich werde dich holen«, antwortete er, während er das Armband von meinem Handgelenk löste. »Und noch etwas. Vergiss nicht, menschlich zu bleiben.«
Was er damit meinte, war klar: Auch wenn ich jetzt ein offiziell anerkannter Engel war, Flügel hatten in der Menschenwelt nichts verloren. Denn einem Engel, der sich unerlaubt einem Menschen zeigte, drohte strengste Bestrafung.
Wie betäubt kletterte ich die Treppe nach oben. Aron hatte mich noch nie geholt . Normalerweise mied er die Welt der Menschen. Dass ich nicht unangemeldet im Schloss der Engel auftauchen sollte, hatte etwas mit Christopher zu tun. Wenn ich Sanctifers Berechtigungsband nicht in Venedig gelassen hätte, wäre ich trotz Arons Bedenken hinübergeschlichen. Aber vielleicht funktionierte das Wächterband ja auch nur dort, redete ich mir ein. Hier überwachte Coelestin, der Schulleiter der Engelschule, die Portale und nicht Sanctifer.
Aron ließ mich ausschlafen – und im Ungewissen. Unruhig lief ich in meinem Zimmer auf und ab. Schließlich siegte mein Magen und trieb mich in die Mensa. Hunger würde meine Unruhe nur noch verstärken.
Um mich abzulenken, beobachtete ich nach dem Essen noch ein wenig die Feriencampteilnehmer bei einer Schneeballschlacht auf der Wiese hinter dem Schloss. Die beiden Schnupperwochen, die ihnen das Internatsleben schmackhaft machen sollten, gingen heute zu Ende. Zwei Tage später würden für mich und meine Freunde die letzten Schulwochen beginnen: Abidrill pur. Spätestens dann würde ich wieder auf Christopher treffen – falls er überhaupt aufs Internat zurückkehrte. Unser Geheimnis musste ja nicht länger durch Flirteinlagen mit Hannah, einer Mitschülerin,verborgen werden. In der Engelswelt wusste inzwischen jeder, dass wir zusammengehörten.
Als Aron um Mitternacht noch immer nicht aufgetaucht war, verkrümelte ich mich ins Bett. Auch den Rest der Nacht verbrachte ich mit Grübeln und Angstverdrängen. Nicht nur, weil Christopher mich anscheinend nicht sehen wollte und ich nicht wusste, wie ich mein Sanctifer-Problem lösen sollte. Aron hatte mir noch nie eine Pause gegönnt. Höchstens wenn ich auf allen vieren daherkam – und selbst dann nicht immer. Er hatte mich bis zum Umfallen getriezt, damit ich ein wenig so wurde wie Christopher. Dass er jetzt plötzlich damit aufhörte, beunruhigte mich – dass ich kurz vor Morgengrauen endlich einschlief und von Christopher träumte, besänftigte mein aufgewühltes Herz ein wenig: Ich liebte diesen Engel, der so anders und mir doch so ähnlich war.
In meinem Traum verbarg sich in Christophers Kuss eine unwiderstehliche Mischung aus Sehnsucht und Sanftheit. Wie flüssiges Quecksilber umfloss mich sein betörender Gewitterduft und verjagte meine Angst, ihn zu verlieren. Dass der Versöhnungskuss normalerweise nach und nicht vor einem Gespräch stattfand, war mir egal.
Noch im selben Augenblick, als ich seiner Zärtlichkeit erlag, wurde Christophers Umarmung inniger, eisig – qualvoll. Ich schrie, löste meine Hände von seinem Gesicht und presste meine Fäuste gegen seinen stählernen Körper, um mich aus seinen Armen zu befreien. Doch Christopher hielt mich mit gigantischen Monsterklauen gefangen, während sein Mund den Rest meiner Engelsmagie aus mir heraussaugte. Mein Widerstand blieb wirkungslos. Meine stille Bitte, er solle aufhören, verhallte ungehört.
Mit tränennassem Gesicht schreckte ich aus meinem Albtraum. Das war nicht Christopher! Auch wenn der Schattenengel in ihm außergewöhnlich mächtig war, das würde er niemals tun. Warum auch? Mir die Energie meiner Engelseele zu rauben gelang ihm auch in seiner menschlichen Gestalt. Dazu brauchte er sein Dämonenerbe nicht. Vielleicht war es ja tatsächlich nur ein Traumgewesen – der Albtraum, vor dem ich mich seit meinem Besuch in Sanctifers Folterkammer fürchtete.
Und falls nicht? Wer hätte etwas davon, mir Christopher als widerliches Monster zu schicken? Sanctifer? Oder die Totenwächterin, die nicht darüber hinwegkam, dass ich ihr entwischt war? Vielleicht. Aber außer mich zum Heulen zu bringen, erreichte sie damit nichts. Sanctifer war der Einzige, der – neben dem kurzfristigen Vergnügen meiner Tränen – einen Nutzen daraus ziehen konnte, mir solche Albträume zu schicken: Er wollte sichergehen, dass ich den Pakt beglich.
Einer nach dem
Weitere Kostenlose Bücher