Fluch der Engel: Roman (German Edition)
verbracht, Sicherheit gefunden, Vertrauen aufgebaut und Freundschaften geschlossen. Und obwohl er mir mehrfach versicherte, dass ich ja schließlich nicht dieses neue Gesetz geschrieben hatte, fühlteich mich mies – Christopher musste meinetwegen sein Zuhause verlassen.
»Wenigstens kannst du so ein wenig Schlaf nachholen«, versuchte Christopher mich aufzumuntern, als er sich von mir verabschiedete.
Ich stellte mich vor meine Zimmertür, um ihn am Gehen zu hindern. Wenn ich schon das ganze Wochenende auf ihn verzichten musste, wollte ich zum Abschied mehr als ein paar tröstende Worte – bis zu meinem nächsten Treffen mit Aron wäre mein Energiedefizit längst wieder aufgefüllt. Doch mehr als den Hauch eines Kusses konnte ich Christopher nicht entlocken. Er nahm Arons Drohung eindeutig ernster als ich. Aber Christopher wusste ja auch nicht, wie wenig Zeit uns noch blieb.
Ich beschloss, meinen Frust nicht an meinen unschuldigen Freunden auszulassen, sondern mich neben Bio und Mathe auch um das Juliane-Raffael-Problem zu kümmern. Juliane, die wie die meisten Abiturienten die Wochenenden während der Intensivlernwochen auf dem Internat blieb, zwang ich gleich nach Christophers Abreise ein Vieraugengespräch auf – erfolglos. Ihr klarzumachen, was für ein mieser Kerl ihr angeblicher Freund doch war, erwies sich als schwierig. Auch der Versuch, Marisa zu überreden, mich zu unterstützen, scheiterte. Aus irgendeinem Grund – der wahrscheinlich mit Raffaels Fähigkeiten als Flüsterer zusammenhing – mochte sie ihn. Florian und Max hatte er jedoch nicht betört.
Mit freundschaftlicher Fürsorge kümmerte sich Florian am nächsten Tag beim Klettern um Juliane. Zwar konnte er Raffael in puncto Aussehen nicht das Wasser reichen, aber gutgebaut, sympathisch und um einiges menschlicher war er allemal – und blaue Augen konnten ja auch ganz anziehend sein.
Um unseren Lungen ein wenig frühlingslauen Sauerstoff aufzuzwingen, damit wir anschließend erfrischt lernen konnten, sollten wir ein paar Stunden in einem nahe gelegenen Klettergarten verbringen. Schon die Erwähnung von Sanctifer genügte, um Raffaelan meine Seite zu locken. Dass ich dann ein wenig länger brauchte, um den passenden Helm zu finden, Florian es so einfädelte, dass er mit Juliane eingeteilt wurde und Raffael mit mir das Schlusslicht unseres Sechserteams bildete, kam mir außerordentlich gelegen.
»Was willst du?«, flüsterte Raffael, als wir unten an der Leiter warteten, bis Marisa und Max, unsere Teammitte, das Ende der Strickleiter erreichten und Florian nach Juliane endlich die sonnenbeschienene Plattform verließ.
»Dass du endlich von hier verschwindest«, zischte ich ebenso leise zurück.
»Das geht leider nicht.«
»Warum? Weil du Juliane nicht verlassen willst?«, stichelte ich.
Raffaels Miene verdüsterte sich. »Sie weiß, dass unsere Freundschaft nur auf Zeit ist, da ich nach dem Abi zurück nach Italien gehen werde.«
»Wie menschlich von dir, sie über deine Pläne zu informieren.«
»Wie interessant , so etwas aus deinem Mund zu hören«, konterte Raffael und erklomm die erste Sprosse. »Aber selbst so etwas wie ich kann Mitleid empfinden.«
Ich schluckte. Schließlich war er, im Gegensatz zu mir, tatsächlich ein Mensch. Vielleicht empfand er doch etwas für Juliane. Ich verdrängte den Gedanken und kletterte ihm hinterher. Raffael hatte mich in Sanctifers Folterkammer verschleppt.
Es war mein erster Ausflug in einen Klettergarten. Dank Arons Slackline-Training kam mir das Ganze jedoch ziemlich bekannt vor. In ein paar Metern Höhe verbanden Stahlseile einen Baum mit dem anderen. Allerdings gab es hier eine Sicherung, damit niemand abstürzen konnte, falls er das Gleichgewicht verlor – und zahlreiche Hindernisse.
Die erste Aufgabe führte uns über eine Reihe wackeliger Holzbalken. Ein Geländer aus geknoteten Stricken sorgte für den nötigen Halt. Ich wartete, bis Max und Marisa das Plateau verlassen hatten, hakte mich vor Raffael am Sicherungsseil ein und versperrte ihm den Weg.
»Und warum bist du sonst noch hier? Weil du deinem Pseudovater petzen musst, was ich hier so treibe?«
»Das ist ihm egal, solange du die Regeln einhältst. Aber wenn du’s unbedingt wissen willst: Ich bin hier, um herauszufinden, ob du allein oder in Begleitung den Putzraum betrittst.«
»Du mieser Schnüffler! Das geht dich einen feuchten Dreck an!«, fauchte ich, kurz davor, Raffael von der Plattform zu schubsen. Er stellte mir
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