Fluch der Engel: Roman (German Edition)
nach mit dem Ziel, Christopher zu verraten.
»Da irrst du dich. Der Rat höchstpersönlich hat mir diese wichtige Aufgabe anvertraut.«
»Der Rat? Offenbar verwechselst du Sanctifer mit dem Rat!«
»Keine Sorge. Ich kenne den Unterschied«, flüsterte Raffael. Demonstrativ strich er sich seine schwarzen Haare aus dem Gesicht. Sicher, damit ich sehen konnte, dass sich seine Maske kein Stück weit bewegte.
Anscheinend war er von Sanctifers Aufrichtigkeit durch und durch überzeugt. Aber warum sollte ein Engel, der sich einen Flüsterer hielt, nicht auch in der Lage sein, seinen verlogenen Lakaien zu hintergehen?
Mit der gleichen Entschlossenheit, mit der Raffael sich vor mich gedrängt hatte, betrat ich die schwankende Brücke. Es lagen noch genügend Stationen vor uns, um ihn auszuhorchen und aus Julianes Umkreis zu vertreiben.
Zwei Plattformen und ein auf zwei Stahlseilen montiertes Skateboard weiter, auf dem Raffael eine wesentlich bessere Figur abgab als ich, packte ich seinen Arm und zwang ihn, sich zu mir umzudrehen. Nicht dank irgendwelcher Engelskräfte, sondern aufgrund der Frage, die ich ihm stellte.
»Seinen Ziehsohn zu quälen, ihn dem Tod auszusetzen und von einem Racheengel retten zu lassen scheint dann wohl ganz nach Sanctifers Geschmack zu sein?«
Trotz meiner Anspielung auf Raffaels Lockvogelaufgabe während meiner Engelsprüfungen blieb er gelassen. »Ich war niemals in Gefahr.«
»Warum? Weil deine zarte Haut für Dämonenstaub undurchlässig ist?«
»Meinen Glückwunsch! Endlich kommst du dahinter. Manchmal ist es von Vorteil, einen entstellten Körper zu besitzen, der von Engelsmagie umgeben ist, so dass ihm selbst Dämonenstaub nichts anhaben kann.«
Verwirrt ließ ich Raffael los und beobachtete, wie er formvollendet über die wackeligen Trommeln balancierte, ohne sich an dem dafür vorgesehenen Seil festzuhalten. Als sich dann auch noch Sanctifers Bild von dem eines unbarmherzigen Folterknechts zu dem eines nachsichtigen Vaters zu verändern begann, weigerte ich mich, weiterzudenken. Raffael log. Er war ein ausgezeichneter Blender. Engelsmagie konnte Dämonenstaub nicht aufhalten – dass meine Flügel genau das getan hatten, zählte nicht.
Raffaels herausfordernder Blick veränderte sich, als ich mich ungeschickt über die tellergroßen Wackeltrommeln hangelte. Ich ignorierte seinen Anflug von Sorge und stürzte mich auf die nächste Station. Sein Mitleid sollte er sich für Juliane aufheben.
Schließlich war er es, der mich am Weitergehen hinderte. »Was willst du? Und sag nicht, dass Florian zufällig mit Juliane klettert und ich mit dir.«
»Dir etwas vorzumachen ist wirklich schwer«, seufzte ich theatralisch. »Aber da du schon fragst: Ich will, dass du Juliane in Ruhe lässt!«
»Mal wieder? Und wenn sie etwas anderes möchte?«
»Etwas anderes, als belogen und betrogen zu werden?«, fragte ich spöttisch.
»Ich habe ihr nie etwas vorgemacht.«
»Sie glaubt, dass du sie liebst!«
»Das habe ich nie behauptet. Liebe und Verliebtsein sind nicht dasselbe, das weiß auch Juliane. Sie mag mich. Mehr nicht. Und wenn du dich mit deiner Freundin ein wenig öfter beschäftigen würdest, wüsstest du, warum sie mit mir zusammen ist.«
»Und das wäre?«
»Sie sucht Anerkennung. Und die bekommt sie als meine Freundin.«
»Eingebildet bist du ja gar nicht.«
»Außerdem hat sie schon seit Jahren panische Angst, auf ihrem Abiball mit einem Partner tanzen zu müssen, den sie sich niemals ausgesucht hätte«, verriet Raffael mir Julianes bestgehütetes Geheimnis.
Wieder starrte ich ihm hinterher und sah zu, wie er sich anmutig in das Spinnennetz stürzte. Raffaels geballtes Mitleid überforderte mich. Vielleicht sah ich in letzter Zeit ja wirklich Gespenster, und Juliane drohte keine Gefahr, von Raffael nach Venedig verschleppt zu werden.
Mein Ausflug in luftiger Höhe wurde schwieriger als erwartet. Raffael war nur eines meiner Probleme. Kaum hatte ich mich an der Rolle eingeklinkt, die mich, am Stahlseil hängend, ins Spinnennetz katapultierte, drängten meine Flügel hervor. Nichts als Luft und Tiefe unter meinen Füßen zu spüren weckte den Engel in mir. Aron würde mich massakrieren, wenn er von meinem Ausflug erfuhr.
Ich schloss die Augen und konzentrierte mich aufs Flügelzurückdrängen. Dass ich dabei vergaß, rechtzeitig meine Beine auszustrecken, um nicht wie ein blindes Insekt in das Spinnennetz zu klatschen, endete schmerzhaft – und mit lautem Gegröle.
Die
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