Fluch der Engel: Roman (German Edition)
Schneeweiße Schwingen hüllten ihn in einen überirdischen Schimmer. Trotz seiner dunklen Haarewirkte alles an ihm hell und rein. Selbst die Härte war aus seinem Gesicht gewichen. Nur in seinen Augen spiegelten sich noch Reste der Unerbittlichkeit wider, mit der er mich auf den Burghügel gezwungen hatte.
Aus dem Nichts erschien in seinen Händen ein glänzend weißes Schwert. Eisige Kälte kroch meine Adern entlang. Funkelnde Engelsmagie in ihrer tödlichsten Form.
»Wenn du mich mit meinem eigenen Schwert tötest, weiß der Rat, dass ich dich darum gebeten habe. Er wird dich nicht zum Tode, sondern nur zu ein paar hundert Jahren Gefangenschaft verurteilen. Kläre ihn bei der Verhandlung über deinen Pakt mit Sanctifer auf und bitte den Rat, zuerst die ältere Schuld begleichen zu dürfen. Er wird ablehnen, weil er befürchtet, dass du versuchst, zu fliehen. Und nach dem Abbüßen deiner Strafe wirst du hoffentlich stark genug sein, dich Sanctifer zu widersetzen.«
Mit einer auffordernden Geste hielt Aron mir das makellose Schwert entgegen. »Du weißt, was du tun musst«, sagte er, bevor sein Blick sich in der Ferne verlor.
Verzweifelt sank ich auf die Knie und drängte mich vor Aron, so dass er mich ansehen musste.
»Ich hasse dich! Dich und deine Fähigkeit, in meine Seele zu blicken. Doch in einem Punkt irrst du dich. Um nichts in der Welt würde ich dein Leben opfern. Das würde weder ich noch Christopher mir jemals verzeihen.«
»Genauso wenig wie er oder ich deinen Tod akzeptieren würde.« Aron stand auf. Mit dem Schwert in der Hand durchbrach der Engel den Kreis der Linden, bevor er sich noch einmal zu mir umdrehte. »Ich erwarte dich eine halbe Stunde nach Sonnenuntergang an der alten Allee. Konzentriert und mit deinen Gedanken bei der Aufgabe, die ich dir stelle.«
Kapitel 11
Susan
I nnerlich zitterte ich noch immer, als ich den mit Buchs gesäumten Kiesweg entlanglief. Für einen Tag wie diesen glitzerte der See unter dem aufgehenden Mond viel zu friedlich. Drastischer als auf dem Burghügel hätte Aron mir wohl kaum beibringen können, dass ich scheiterte, weil ich zu wenig an meine Fähigkeiten glaubte. Aber vielleicht würde mein nächtlicher Unterricht doch nicht so schlimm werden, wie ich befürchtete.
Mein Optimismus verließ mich, als ich die gespenstisch in den dunklen Nachthimmel ragenden Bäume erreichte und sich alle nach mir umdrehten. Umringt – und angehimmelt – von einer Schar Schüler stand Aron inmitten der mit Fackeln beleuchteten Allee. Allein meinetwegen unterrichtete Christopher nicht mehr und Aron nur noch selten. Zwei Punkte, warum ich auf der Beliebtheitsskala vieler Engelschüler nicht besonders weit oben rangierte. Hätte Christopher in den vielen Jahren, die er hier lebte, die Vorurteile gegen Racheengel nicht weitgehend ausgeräumt, läge ich wohl im absoluten Minus – zumindest bei einigen von ihnen. Paul kam ganz gut mit mir zurecht. Aber Paul war nicht hier.
Aron erlaubte mir nicht, dass ich mich im Schatten verdrückte. Er entschuldigte sich bei den Engelschülern, kam auf mich zu und legte mir eine Hand auf den Rücken, um mich zu den anderen in Richtung Allee zu bugsieren. Ich schüttelte ihn ab – Susan beobachtete uns. Und da offenbar nicht nur Racheengel extrem eifersüchtig sein konnten, wollte ich die Chance, mit ihr wieder ins Reine zu kommen, nicht durch ein dummes Missverständnis gefährden.
»Gib ihnen ein wenig Zeit. Nach allem, was sie in Engelsgeschichte lernen, kannst du es niemandem verübeln, wenn er sich immer noch ein wenig vor dir fürchtet. Aber das wird sich bestimmt bald legen.«
Bei den anderen vielleicht. Bei Susan eher nicht. Ich schwieg. Oktavians Improvisationskurs – eine Art MacGyver-Training für Engel – begann.
»Wie ihr wisst, gebrauchen wir Engelsmagie, um Dinge entstehen zu lassen, wie unsere Flügel oder Engelschwerter.« Aus dem Nichts erschienen zwei viel zu große Schwingen auf dem kleinen Rücken des pummeligen Engels mit dem Kindergesicht. »Oder Gegenständen Energie einzuhauchen. Ihr kennt sicher alle die kleinen Kaugummigeschosse.«
Bei dem Wort Kaugummigeschosse ging ein freudiges Raunen durch die Menge. Ich verzog das Gesicht. Bei mir war bislang keines explodiert.
»Natürlich verwenden wir die uns gegebene Magie auch, um Portale oder Barrieren anzufertigen, die uns vor unliebsamen Eindringlingen schützen.« Oktavians babyblaue Augen richteten sich auf mich. Solche Barrieren konnten nur Engel
Weitere Kostenlose Bücher