Fluch der Leidenschaft
Lancaster auf sich zukommen, ausgeruht und herausgeputzt wie üblich, das licht gewordene Haar in Wellen um das Gesicht drapiert. Sie ging ein paar Schritte von den Gärtnern weg, denn sie wusste, dass diese Unterredung nicht angenehm werden würde.
Der Graf überraschte sie. Der arrogante Ärger, den sie in seiner Stimme gehört hatte, verschwand, als er sie begrüßte: »Imogen, mein liebes Kind. Wie sehr Ihr gelitten habt.« Er streckte ihr seine fleischigen, beringten Hände entgegen, und sie konnte nicht umhin, ihm die ihren zu geben.
Er drückte sie. Seine Hände fühlten sich weich, warm und schweißig an, ganz im Gegensatz zu den Händen eines anderen …
»Ich war entsetzt, als ich die Nachricht von Lord Bernards Tod erfuhr, meine Liebe. Ich dachte, er sei nur krank gewesen, und war sicher, dass mein Arzt ihn bald wieder auf die Beine bringen würde …« Er fasste sich an die Augen, wenngleich keine Tränen zu sehen waren. »Sobald Magister Cornelius mir die schreckliche Nachricht überbrachte, beeilte ich mich, schnellstens herzukommen.«
»Es war ein Schock für uns alle«, erwiderte sie und ging voraus auf eine Marmorbank zu, die nach Aussage ihres Vaters noch aus römischer Zeit stammte.
Hier hatte er sich am liebsten aufgehalten.
Sie nahm Platz, und Lancaster setzte sich zu ihr. Er war so dick, dass sein Bein an ihres drückte. Sie waren schon öfter so beisammengesessen, doch derlei Dinge hatte sie früher nicht bemerkt. Jetzt wäre sie am liebsten zur Seite gerutscht.
»Ein großer Schock«, wiederholte er und tätschelte ihr den Schenkel. »Und ein noch schlimmerer Schock war es, von der Einnahme Carrisfords zu hören. Wie konntet Ihr gezwungen werden, einen solchen Mann zu ehelichen, Kind?«
»Es war der Lord von Warbrick, der Carrisford einnahm.« Imogen deutete ärgerlich auf den zerstörten Garten. »Er hat Carrisford verwüstet.«
Lancaster kniff die Augen zusammen, und sie erinnerte sich daran, dass er alles andere als dumm war. »Carrisford ist so gut wie uneinnehmbar, Imogen. Wie konnte Warbrick das schaffen?«
»Glaubt Ihr vielleicht, wir hätten ihn eingelassen? Das wäre Wahnsinn gewesen. Nein, es war eindeutig Verrat im Spiel.« Sie sah keinen Grund, ihm ihren Verdacht zu verschweigen. »Wir vermuten, dass es einige der Übernachtungsgäste waren, verkleidete Mönche, die dann Wachen am hinteren Tor überwältigt haben.«
Er runzelte die Stirn. »Aber Lord Bernard teilte mir in seinem Brief mit, er habe befohlen, Carrisford während seiner Krankheit verschlossen zu lassen.«
»Das ist richtig. Aber als mein Vater verwundet wurde, waren die Mönche bereits seit einigen Tagen hier. Sie wollten angeblich nach Westminster, einer von ihnen wurde jedoch krank. Es schien ihm große Schmerzen zu bereiten, sich zu bewegen, deshalb gab Vater ihnen die Erlaubnis hierzubleiben, anstatt nach Grimstead weiterzuziehen. Er war in solchen Dingen immer sehr … sehr nachgiebig.«
»In der Tat«, pflichtete Lancaster irgendwie geistesabwesend bei. »Aber mein liebes Kind, das kann nur bedeuten, dass diese ganze Tragödie von Anfang an geplant war.«
Imogen blickte abrupt auf. »Geplant? Wie konnte das geplant worden sein?«
Lancaster betrachtete nachdenklich eine abgebrochene Lilie. »Das bedeutet, der plötzliche Tod Eures Vaters war kein Zufall.«
»Kein Zufall? Aber es war nur eine kleine Pfeilwunde. Selbst wenn sie mit böser Absicht zugefügt wurde, wie konnte jemand eine Infektion planen?«
Er blickte ihr in die Augen. »Magister Cornelius war sehr verwundert über den Verlauf der Krankheit. Er meinte, eine Wunde von einem Pfeil, der in Exkremente getaucht worden war, hätte zu der Infektion geführt. Von wem stammte der Pfeil?«
Ihr Vater war ermordet worden? Imogen war fassungslos. »Das haben wir nicht herausgefunden, wir hatten auch gar keine Zeit, dem gründlich nachzugehen. Wir vermuteten einen Wilddieb dahinter, aber wir haben den Wald vollständig durchkämmt und niemanden gefunden.«
»Der war natürlich längst über alle Berge. Und von wem wurde er bezahlt?«
Langsam konnte sie wieder klar denken. »Warbrick!«, stieß sie hervor. »Er war sofort aktionsbereit. Möge seine Seele auf ewig in der Hölle schmoren!«
»Oder FitzRoger«, konterte Lancaster sarkastisch. »Er ist schließlich derjenige, der jetzt davon profitiert.«
»Nein.« Imogens Antwort kam unüberlegt; sie versuchte, diesen Umstand zu verbergen, indem sie sofort triftige Argumente nachschob. »Das
Weitere Kostenlose Bücher