Fluch der Leidenschaft
geölte Schloss und öffnete die Tür.
Der Raum war voller Truhen, Taschen, Kisten und an den Wänden aufgereihten Gestellen, auf denen goldene Teller und Kelche standen.
Imogen fühlte sich versucht, wenigstens einen Teil dieser Pracht in den Saal mitzunehmen, um die alte Schönheit ihres Heims wiederherzustellen, doch neue Schätze zu präsentieren, solange der König hier weilte, wäre nicht klug gewesen. Sie brauchte Münzen, um ihre Schulden zu bezahlen, und etwas Schmuck, mehr nicht. Also nahm sie aus einer der Kisten erst einmal zwei Beutel mit Geld.
Dann suchte sie aus einem Kästchen ein paar ihrer Lieblingsschmuckstücke und zwei Haarreife heraus. Das erinnerte sie daran, dass sie FitzRoger noch kein Geschenk gemacht hatte. Sie wollte ihm gern etwas geben.
Sie öffnete die Schmuckschatulle ihres Vaters. Alles war hier, denn nach seinem Tod hatten sie, Siward und Sir Gilbert – die einzigen Personen, die alle Geheimnisse von Carrisford kannten – Sir Bernards gesamten Schmuck hierhergebracht.
Beim Anblick der vertrauten Stücke, die sie das letzte Mal gesehen hatte, als ihr Vater sie trug, traten Imogen Tränen in die Augen. Sie nahm einen prächtigen, eigroßen Rubin zur Hand und erinnerte sich daran, wie sehr sie es als Kind geliebt hatte zu sehen, wie er das Sonnenlicht reflektierte. Ihre Tante Constance hatte erzählt, sie habe schon als Baby damit gespielt.
Sie legte ihn zurück. Ein solches Geschenk war nicht das Richtige für FitzRoger.
Nachdem sie noch einige Lederbeutel durchgesehen hatte, fand sie schließlich etwas Passendes: eine wunderschöne schwere Goldkette mit Smaragden im Cabochonschliff. Sie war das wahrscheinlich kostbarste Stück des gesamten Familienschatzes; außerdem war sie kaum getragen worden, denn Lord Bernard hatte sie nicht sehr gemocht. FitzRoger würde sie jedoch sicher glänzend zu Gesicht stehen.
Imogen zögerte. Wenn sie ihm die Kette gab, würde er wissen, dass sie in der Schatzkammer gewesen war.
Na und. Wenn sie ihre Schulden beglich, würde er es ebenso wissen.
Sie steckte die Beutel mit den Münzen und die Kette ein und verschloss sorgfältig die Tür. Dann machte sie sich auf den Rückweg, wieder vorbei an der großen Pfütze und unter den Spinnweben hindurch, deponierte den Schlüssel hinter dem Stein und erreichte schließlich die Stelle, an der die Laterne gestanden hatte.
Von hier aus nahm sie jedoch einen anderen Weg, denn sie wollte die Gänge nicht bei der Speisekammer verlassen – dort war es schwer festzustellen, ob gerade jemand in der Nähe war.
Stattdessen kam sie in einem Abtritt unweit des Saals heraus und ging von dort rasch in das Gemach hinauf, das sie mit FitzRoger teilte.
Als sie die Treppe erreichte, hörte sie jemanden ihren Namen rufen. Lancaster! Der Teufel sollte ihn holen. Sie ignorierte ihn und hastete nach oben. In dem Gemach angekommen, ließ sie ihren Schatz schnellstens in ihrer Truhe verschwinden, verschloss sie und säuberte ihre Kleidung von Spinnweben.
Sie war eben damit fertig, als Father Wulfgan, ohne anzuklopfen, eintrat.
»Tochter, wo seid Ihr gewesen?«
Beinahe hätte sie gesagt, dass ihn das absolut nichts angehe, was sie selbst erschreckte. Im gleichen Moment fiel ihr ihr Versprechen ein, den Priester fortzuschicken, und bei diesem Gedanken begannen ihr die Knie zu zittern.
Im Gespräch mit FitzRoger war es ihr leicht vorgekommen.
Jetzt, unter Father Wulfgans stechendem Blick, erschien es ihr unmöglich.
»Ich habe einige Vorratsräume inspiziert, Father«, log sie.
»Man hat vergeblich nach Euch gesucht. Der Lord von Lancaster möchte mit Euch sprechen. Das seid Ihr ihm schuldig.«
»Bin ich das?« Warum in aller Welt würde sich Wulfgan auf Lancasters Seite stellen?
»Er ist ein gottesfürchtiger Mann«, sagte Wulfgan. »Ihn gelüstet nicht nach Krieg. Er unterstützt großzügig heilige Werke. Wenn er Euer Lord geworden wäre, hätte er auf diesem Land ein neues Kloster gegründet, eines, das wahrhaft einem Leben in Demut und Kasteiung verpflichtet gewesen wäre.«
Imogen seufzte. Nicht einmal Wulfgan war also gegen Bestechung gefeit. Wäre er Abt dieses Klosters geworden? Dennoch bot diese Bemerkung womöglich eine Lösung für ihr Problem. »Vielleicht gründet ja Lord FitzRoger eines«, meinte sie.
»Dieser Mann richtet alles zugrunde, was er berührt! Wisst Ihr, dass er sogar ruchlose Weiber in diese Burg gebracht hat?«
Oh Gott. »Die sind für den König, Father.«
»Der gottlose König! Er
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