Fluch der Leidenschaft
für das, was er ihr angetan hatte. Sobald sie genügend Mägde zur Verfügung hatte, würde sie die Stoffe waschen lassen, so gut es ging. Bestimmt würde sie neue Kleider brauchen, doch sie wusste nicht, ob sie für einen solchen Zweck jetzt schon Geld ausgeben sollte.
Von den Schlachttieren hätten die meisten zwar ohnehin noch vor dem Winter ihr Leben gelassen, dennoch musste ein Teil des Viehbestands nachgekauft werden. Am liebsten hätte sie sofort mit barer Münze bezahlt, doch im Augenblick verfügte sie noch über kein Geld. Sie ließ trotzdem Milchkühe und Legehennen anschaffen, denn Imogen von Carrisfords Wort war bestimmt ebenso viel wert.
Jedes Mal, wenn sie nach oben blickte, sah sie ihr zerstörtes Buntglasfenster und die nackten Wände und wurde an die in der ganzen Burg angerichtete Zerstörung erinnert. Sie schob den Gedanken beiseite. Für Eleganz würde später noch Zeit genug sein.
Im Augenblick musste sie sich mit dem befassen, was zum Leben notwendig war.
Mit einem Gefühl, als würde sie etwas Verbotenes tun, schickte sie einen Jungen los, um ihr zu berichten, wie es um die Soldaten, den Waffenbestand und die Reparaturen an den Wehranlagen bestellt war. Seine Auskünfte beruhigten sie. Die Männer wussten alle, was sie zu tun hatten, und sie waren gut bewaffnet. Wer nicht Wachdienst tat, war mit dem Ausbessern von Waffen beschäftigt.
Sie hätte wissen können, dass FitzRoger die Burg nicht ungeschützt gelassen hätte. Schließlich wusste sie noch gut, wie seine Männer unmittelbar nach der Erstürmung ohne Führung, aber dennoch effizient vorgegangen waren. Er hatte sie gut ausgebildet.
Und sie waren deshalb führerlos gewesen, weil ihr Lord wegen seiner Furcht vor dunklen, geschlossenen Räumen krank geworden war.
Imogen verdrängte dieses Bild. An FitzRogers wunden Punkt zu denken weckte ihr Mitgefühl, und das war gefährlich. Er würde in dieser Auseinandersetzung nicht im Geringsten nachgeben, und überhaupt musste man nur daran denken, wie er reagiert hatte, als sie seinen Schwachpunkt erwähnte.
Das Rätsel, das ihr angeblicher Held ihr aufgab, brachte Imogen zum Grübeln. Überall in Carrisford mischte er sich ein, und seine Männer bewachten sie sogar. Für alle war er »der Herr«, und er hatte sogar ihre Tante beisetzen lassen – ohne von ihr dazu ermächtigt worden zu sein und ohne dass sie dabei gewesen wäre.
Am besten, sie wurde diesen Mann so schnell es ging los, bevor er am Ende hier Wurzeln schlug!
Doch das war nur mit der Hilfe des Königs machbar, und das wiederum würde zu ihrer raschen Heirat mit einem Mann führen, den Henry für sie auswählte.
Imogen bemerkte, dass sie das Ende ihres hölzernen Schreibstifts fast abgekaut hatte, und warf ihn angewidert von sich.
Henry Beauclerk saß erst seit einem Jahr auf dem englischen Thron, und sie hatte keine Ahnung, was sie von ihm zu erwarten hatte. FitzRoger behauptete, der König werde sie an den Meistbietenden verkaufen, und wie es hieß, stand er ihm nahe genug, um das beurteilen zu können. König Henrys Recht auf den Thron wurde angefochten, und auch Belleme sowie einige andere Barone machten ihm zu schaffen. Zweifellos musste er die Schwankenden auf seine Seite ziehen.
Aber er würde doch sicher niemals so tief sinken zu versuchen, durch sie Belleme oder dessen Brüder für sich zu gewinnen? Doch dann fiel ihr ein, dass ihr Vater über die Gerüchte gesprochen hatte, denen zufolge Henry Beauclerk den Tod seines Bruders, König William Rufus’, verschuldet haben sollte, der so gelegen während einer Jagd durch einen Pfeil zu Tode gekommen war. Lord Bernard hatte den neuen König argwöhnisch beobachtet und sich eines Urteils enthalten. Würde ein Mann, der seinen Bruder tötete, vor irgendetwas zurückschrecken?
Imogen hatte das Gefühl, dass sich ihre Gedanken im Kreis drehten. Wenn sie sich nicht der Laune des Königs unterwerfen wollte, hatte sie nur zwei Möglichkeiten: Sie konnte sich einem ihrer Freier anbieten – wahrscheinlich Lancaster –, oder den unausgesprochenen Antrag von FitzRoger annehmen.
Sie ließ sich auf ihre Kissen zurücksinken und versuchte, ihre Alternativen ganz realistisch zu durchdenken. Auf den König zu vertrauen war ein riskantes Spiel, und Imogen war alles andere als eine Spielerin.
Dann also Lancaster.
Lancaster war wesentlich älter als sie, doch das war nichts Ungewöhnliches, es musste nicht in Betracht gezogen werden. Ihre Pflicht als die Herrin von Carrisford
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