Fluch der Leidenschaft
Ihr auf eigenen Beinen zu Eurer Hochzeit gehen und vor dem König einen Knicks machen könnt.«
»Bei der Krone der Heiligen Jungfrau!«, keuchte sie entsetzt, und plötzlich schienen alle anderen Probleme verschwunden. »So, wie es bei uns aussieht, können wir den König nicht empfangen!«
»Sorgt Euch nicht. Ich lasse aus Cleeve zusätzliche Vorräte und Güter bringen und habe für morgen noch mehr Eurer Leute einbestellt.«
Sorgt Euch nicht, sorgt Euch nicht. Was war sie – ein Baby, das man auf den Armen tragen musste? »Das wäre meine Aufgabe gewesen.«
Er seufzte ungeduldig. »Ich hoffe, Ihr lernt, Euch Eure Schlachten sorgfältiger auszusuchen, Imogen. Ich hege nicht das Verlangen, Carrisford zu verwalten, und wenn Ihr auch noch die häusliche Organisation von Cleeve übernehmen wollt, könnt Ihr das gerne tun. Aber Ihr seid momentan nun einmal ans Bett gefesselt. Das stellt ein gewisses Hindernis dar.«
»Ihr könntet mich wenigstens fragen!«, hielt sie dagegen und fühlte sich schon wieder im Unrecht.
»Ich habe einfach alles in die Hände Eures Seneschalls gelegt. Er scheint mir ein kompetenter Mann zu sein.«
»Siward ist zurück?«, fragte Imogen erfreut, doch dann fand sie bereits einen neuerlichen Grund zur Klage. Auch das hatte ihr niemand mitgeteilt, und Siward war nicht bei ihr vorstellig geworden.
»Er war beschäftigt«, erklärte FitzRoger. Auf ihren verblüfften Blick hin fuhr er fort: »Euch kann man jeden Gedanken aus dem Gesicht ablesen, Ginger.«
Imogen schleuderte ein Kissen nach ihm.
Er fing es auf. »Verstehe ich Euch richtig, dass Ihr nicht zum Abendessen hinuntergetragen werden wollt?«
»Ganz gewiss nicht!«, fuhr sie ihn an. »Außerdem werde ich mir überlegen, künftig eine Maske zu tragen!«
»Sehr klug. Ich trage die ganze Zeit eine.« Er warf das Kissen zu ihr zurück und verließ den Raum.
Imogen erkannte die Wahrheit hinter diesem Satz.
Was, fragte sie sich, schützte er mit seiner Maske? Vielleicht diesen weicheren, jüngeren Mann, der für sie kurz erkennbar geworden war, als sie sich küssten. Nachdenklich umarmte sie das Kissen. Wenn sie den Grafen von Lancaster heiratete, würde sie das nie herausfinden. Sie wusste, sie würde den Grafen von Lancaster definitiv nicht heiraten.
Sie würde Bastard FitzRoger heiraten, auch wenn er ihr Schauer über den Rücken jagte. Oder vielleicht sogar gerade deswegen …
Wie alt war er? Zuerst hatte er irgendwie alterslos gewirkt, jetzt dachte sie, er konnte keine zehn Jahre älter sein als sie.
Martha kam zurück, etwas zögernd, und brachte ein Tablett mit Essen. »Der Herr sagte, Ihr wollt hier essen.«
Das hatte sie nicht gemeint, und sie war sicher, dass er das auch wusste, aber Imogen war des Kämpfens müde. »Gut«, sagte sie nur. »Ich muss mich für morgen stärken, wenn der König kommt.«
»Und für Eure Hochzeit«, fügte Martha hinzu und stellte ihr kichernd das Tablett auf den Schoß. »Und ich hatte immer gedacht, Ihr heiratet am Ende noch einen von diesen verknöcherten alten Kerlen, von denen Euer Vater so oft gesprochen hat. Aber Ihr habt Euch einen appetitlichen jungen Burschen ausgesucht, das muss man Euch lassen. Da könnte man schon Lust bekommen ...«
Imogen spürte ihre Wangen heiß und rot werden. »Martha, du bist schamlos!«
Die Magd schnitt eine Grimasse, aber sie schwieg. Sie war nur eine Weberin, die zur Kammerdienerin berufen worden war, erinnerte sich Imogen. Es war an der Zeit, einige richtige Dienerinnen einzustellen. Und sie musste eine Frau unterweisen, die Janines Platz einnehmen konnte.
Was Tante Constance’ Stellung anbetraf, hatte Imogen keine anderen infrage kommenden weiblichen Verwandten in England …
Während sie in Rosmarin geschmorten Hammel kaute, gingen ihr Marthas Worte im Kopf herum.
Diese fiebrige Erregung, halb Furcht, halb Freude – war das Lust? Ihr ganzes Leben lang hatte Father Wulfgan sie vor der Lust gewarnt. Wenn sie an Janine dachte, bekamen alle seine Warnungen jedoch eine neue, tiefere Bedeutung, und zwar nicht nur die, dass es darum ging, der Versuchung zu widerstehen. Was wäre an dieser Sache verführerisch gewesen?
Die Lust war wahrhaftig der Weg zur Hölle, ganz wie es Father Wulfgan sagte. Es musste so sein, dass die Männer verführt wurden und die Frauen litten. Aber wenn sie ehrlich war, musste sich Imogen eingestehen, dass sie in FitzRogers Armen überhaupt nicht gelitten hatte.
Noch nicht.
Der Teufel konnte äußerst listig sein,
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