Fluch der Leidenschaft
haben, aber ich bin immer noch fähig, mit einem militärischen Notfall fertig zu werden, wenn es dazu kommen sollte.«
Renald hörte den Vorhang rascheln, als sein Freund hinausging.
Guter Gott, wenn er bloß nicht so viel getrunken hätte. Ehe er sichs versah, war er eingeschlafen.
Imogen hätte nicht sagen können, was geschehen war, außer dass Zeit verstrichen war. Hatte sie geschlafen? War sie ohnmächtig geworden?
Das Gemach, das von der untergehenden Sonne in ein blutrotes Licht getaucht worden war, lag nun im silbrigen Schein des Mondes. Es war das Zimmer ihres Vaters; ein Ort, an dem sie immer wohlbehütet gewesen war, wo sie als Kind gespielt hatte, wohin sie als Heranwachsende gekommen war, um Fragen zu stellen und Probleme zu besprechen.
Nun war sie hier nicht mehr behütet. Nun war dieser Raum von einem fremden Geruch und bedrückenden Erinnerungen gezeichnet.
Gewalt. Tod. Leichen …
Die Erinnerung setzte ein.
Bastard FitzRoger. Ihr Gemahl.
Bei dem Gedanken an das Geschehene schauderte sie. Sie erinnerte sich wieder an alles, die Freude wie den Schmerz.
Freude? Ja, sie erinnerte sich an Freude. Sie erinnerte sich auch an das Gesicht ihres Gemahls, als zwischen ihnen noch alles gut gewesen war. Er hatte seine Maske für sie fallen gelassen, und sie hatte den Menschen gesehen, und die Seele in ihm.
Es war so schön gewesen, und so kurz.
Dann hatte sie gegen ihn angekämpft, hatte geschrien. Sie hatte ihn als Warbrick gesehen, als scheußliches Ungeheuer.
Und er hatte sie verlassen.
Bestimmt war die Maske jetzt wieder fest an ihrem Platz.
Imogen barg beschämt das Gesicht in den Händen.
Was hatte sie getan?
Sie konnte versuchen, die Schuld an diesem Unglück FitzRoger zuzuschieben. Sie konnte sagen, er hätte warten, ihr mehr Zeit geben sollen, sich daran zu gewöhnen. Aber er war freundlich mit ihr gewesen. Sie wusste, dass sie ihn angefleht hatte zu tun, was er getan hatte, und dass sie sogar noch mehr gewollt hatte.
Bis der Schmerz kam.
Hatte sie gegen den Schmerz angekämpft, oder gegen die Freude? Der Schmerz war wesentlich stärker gewesen, als sie es sich vorgestellt hatte, aber auch die Freude hatte ihr Furcht eingeflößt. Sie hatte Bilder wie in ihren schlimmsten Albträumen in ihr aufsteigen lassen.
Father Wulfgan hatte recht. Freude, Lust führten geradewegs in die Hölle.
FitzRoger schien zu denken, dass an Freude und Lust beim ehelichen Akt nichts falsch war, aber er war nicht im Heiligen Land gewesen und dort seines Glaubens wegen an ein Kreuz geschlagen worden. Er fastete nicht die Mehrzahl der Tage im Jahr, und er peitschte sich nicht mit Riemen aus, an denen Metallspitzen befestigt waren.
Und jetzt war es bewiesen, dass FitzRoger unrecht hatte, denn das Entsetzen und die Pein, die zwischen sie getreten waren, konnten nur eine Strafe für ihre Lust gewesen sein. Wenn er sie einfach nur genommen hätte, dann wäre alles bestimmt viel günstiger verlaufen.
Imogen wusste, dass die Tugend, die strenge Sittsamkeit, auf ihrer Seite war – und dennoch sagte ihr ihr Gefühl, dass sie sich in dieser Nacht einen groben Schnitzer geleistet hatte.
Was musste FitzRoger gefühlt haben, als sie schreiend und um sich schlagend unter ihm lag, obwohl er doch nur tat, was er für richtig hielt?
Würde sie sich das nächste Mal anders benehmen können?
Imogens Kopf sank auf das Bett. Sie wünschte, jemanden zu haben, der ihr raten konnte, oder der sie auch nur in die Arme schloss. »Vater, Vater«, stöhnte sie. »Warum musstest du sterben? Das war so … so nachlässig von dir! Ich muss mit dir reden.«
Sie lachte erstickt auf. Sie konnte ihren Vater fast hören, wie er ihr ganz sachlich klarmachte, dass sie natürlich nicht in dieser misslichen Lage wäre, wenn er nicht so pflichtvergessen gewesen wäre, einfach zu sterben. Imogen, mein Liebling, du musst erwachsen werden, und zwar schnell.
Imogen setzte sich auf. Es war fast, als könne sie ihren Vater tatsächlich hören, hier in diesem Raum, in dem sie ihre vertrautesten Momente miteinander verbracht hatten.
Du wurdest in den Strom ebenjener Übel geworfen, die ich dir so sehr ersparen wollte. Aber du hast deinen Weg gewählt – keinen schlechten Weg –, und nun musst du ihn zu Ende gehen.
Wurde sie verrückt? Imogen wusste es nicht, aber dieser Augenblick der Kommunikation war zu kostbar, um ihn durch Skepsis aufs Spiel zu setzen. Sie schloss fest die Augen und formulierte eine Frage. Bist du mit ihm einverstanden,
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