Fluch der Leidenschaft
der gestrigen Zecherei noch tief und fest.
Imogen beschloss, dass sie auch ohne Martha zurechtkam. Zum ersten Mal in ihrem Leben zog sie sich ohne fremde Hilfe an. Es war nicht schwer, in ein einfaches Kleid und eine Tunika zu schlüpfen, aber ein ansprechendes Aussehen zu erzielen, ohne sich dabei sehen zu können, verlangte einiges an Geschick.
Sie bürstete ihr Haar, schaffte es jedoch nicht, sich Zöpfe zu flechten; dazu waren sie zu lang und zu dick. Sie versuchte es, doch die Zöpfe sahen unförmig aus; sie musste das Haar einfach offen tragen.
Als verheiratete Frau hatte sie zwar das Recht, einen Schleier zu tragen, aber sie besaß keinen. Darüber hinaus fand sie in FitzRogers Schmuckschatulle auch keinen Haarreif, um einen solchen zu befestigen. Sie konnte ein schlichtes Tuch benutzen, wie es die Frauen der Leibeigenen taten, doch das erschien ihr erniedrigender, als barhäuptig zu gehen.
In der Schatzkammer hatte sie mehr als genug Haarreife.
Schließlich wurde sie ungeduldig und gab ihre Bemühungen, wie eine verheiratete Frau aussehen zu wollen, auf. Barfuß, ohne Kopfbedeckung und mit offenem Haar ging sie in den Saal hinunter. Wenn jemand sich darüber aufregen wollte, sollte ihr das auch recht sein. Aber sie wusste, niemand würde es wagen, einen Skandal wegen etwas zu machen, das Bastard FitzRogers Gemahlin tat. Und dieser Gedanke machte sie stolz.
Als sie den Saal betrat, musste sie sich das Lachen verkneifen. Es bot sich ihr ein Bild des Jammers. Dem Zustand der Anwesenden nach zu urteilen, hatte hier ein ausschweifendes Gelage stattgefunden. Renald de Lisle saß an der Hohen Tafel, den Kopf schwer in die Hände gestützt.
Imogen näherte sich ihm von hinten. »Guten Morgen, Sir Renald.«
Obwohl sie leise gesprochen hatte, fuhr er zusammen, als hätte sie gebrüllt, besann sich jedoch auf seine Manieren und stand auf, um ihr einen Platz anzubieten.
»Guten Morgen, kleine Blume.« Er betrachtete sie ziemlich genau und meinte: »Ihr seht nicht im Geringsten mitgenommen aus.«
Dann zuckte er aufgrund seiner eigenen Worte zusammen.
»Mir geht es auch gar nicht schlecht, vielen Dank«, erwiderte Imogen und errötete sogleich, weil ihr klar wurde, dass das auch als ein Eingeständnis verstanden werden konnte. Aber bestimmt würde er es nicht so verstehen. Sie wollte niemandem auch nur den kleinsten Hinweis darauf geben, dass ihre Hochzeitsnacht in irgendeiner Weise unvollständig gewesen war. »Tatsächlich«, fügte sie rasch hinzu, »würde ich sagen, dass ich heute in besserer Verfassung bin als die meisten andern in Carrisford. Ihr habt Euch entschieden, nicht jagen zu gehen?«
»Ich wurde als Kommandant zurückgelassen. Ob das aus Freundlichkeit geschah oder nicht, weiß ich nicht so recht. Beim Gedanken zu reiten rebelliert mein ganzer Körper, aber die anderen werden nach einem Tag an der frischen Luft in einem besseren Zustand sein als ich.«
Eine Frau kam in den Saal geschlendert und zog das offene, grellbunte Kleid über ihre üppigen Brüste hoch. An einem Tisch schenkte sie sich einen Becher Ale ein und streichelte nebenbei einem Wachmann über die Schulter. Der legte ganz zwanglos einen Arm um sie und zog sie zu sich.
»Wer ist das?«, fragte Imogen fordernd. »Diese Frau ist nicht aus Carrisford!«
Renald setzte sich abrupt auf, fluchte jedoch sofort und griff sich an den Kopf. »Eine Besucherin«, stöhnte er. »Ich schicke sie gleich weg.«
»Aber wer …?« Jetzt erst bemerkte Imogen, dass sich auch noch einige andere fremde Frauen im Saal aufhielten, von denen keine einer Arbeit nachzugehen schien. »Dieses faule Pack!« Sie war schon halb auf den Beinen, als Renald sie wieder auf den Stuhl drückte.
»Pst! Keine Aufregung.« Er wirkte etwas peinlich berührt. »Das sind Huren aus Hereford.«
Imogen stockte der Atem. » In meiner Burg? Hat FitzRoger das veranlasst?«
»Nicht so laut!«, zischte er und zuckte vor Schmerzen zusammen. »Ja, aber Ihr kennt eben Beauclerk nicht. Er ist ein wollüstiger Mann, und sein Gefolge steht ihm darin kaum nach. Wir mussten ein paar Prostituierte heranschaffen, denn Ihr würdet es sicher auch nicht billigen, wenn heute keine Frau aus Carrisford sich mehr auf den Beinen halten könnte.«
Imogen war sprachlos. »Also gut«, meinte sie nach einer geraumen Weile, »aber ich will sie nicht in meinem Saal haben, König hin oder her!«
»Natürlich nicht. Ich kümmere mich darum, aber ohne großes Aufheben. Ty hätte …« Er warf ihr
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