Fluch der Meere (Historischer Roman) (German Edition)
beide.
Aber verhalten.
Dann schlang Jeannet die Arme um seinen Hals und presste sich an ihn. Noch einmal wollte sie ihn so nah wie möglich spüren, seinen Herzschlag hören, seine Nähe atmen...
Sechs Monate...
Mein Gott, dachte sie, stell dich nicht so an! Was hat dieser Mann aus dir gemacht? Du warst eine starke Piratenkapitänin und jetzt bist du nichts als ein schwaches Weib, das Wachs ist in den Armen dieses Mannes!
Aber hatte er sich ihr gegenüber nicht genauso schwach gezeigt?
Schließlich gab er im Vertrauen auf ihre Liebe seinen Stand und seine Position auf und machte sich damit so schwach und angreifbar, wie man sich nur denken konnte.
"Ich liebe dich!", hauchte er ihr ins Ohr. "Ich weiß, dass du die Frau meines Lebens bist. Es wird nichts geben, was uns in Zukunft noch trennen kann. Keine Macht der Welt, glaub mir!"
"Ich glaube dir!", erwiderte sie.
"Wir sehen uns in Vigo."
"Ja."
"In einem halben Jahr. Dann werde ich alles vorbereitet haben."
"Ich werde mit dir gehen, wo immer du hin gehst", sagte sie. Sie spürte etwas in ihren Augen, was sich dort lange nicht gefunden hatte. Sehr lange nicht.
Tränen.
Sie wischte sie weg. Aber es hatte keinen Sinn, sie leugnen zu wollen. Lord Cooper war allerdings taktvoll genug, sie nicht darauf anzusprechen.
"Adios ---so sagt man in Spanien", hörte sie Lord Coopers unvergleichliche Stimme sagen. "Gewöhn dich schon einmal daran..." Ihnen blieb nicht viel Zeit, wollten sie kein Misstauen unter ihren jeweiligen Mannschaften erregen. Hinter vorgehaltener Hand zerrissen sich einige der Seeleute ohnehin schon das Maul, wagten es aber nicht, irgend etwas von dem, was sie erkannt zu haben glaubten, auch offen auszusprechen.
"Vergesst nicht, mich jetzt wieder mit aller Förmlichkeit zu behandeln, Mylady!", sagte Lord Cooper schließlich, als sie zur Tür gingen. Sie lächelte.
"Mylord, ich werde Euch all die Förmlichkeit zuteil werden lassen, zu der ein ehemaliges Straßenmädchen im Stande ist!"
Sie gingen an Deck.
Geoffrey Naismith und John Kane warteten dort ebenso wie Ben Rider und der Portugiese Joao.
"Lebt wohl, Jeannet", sagte Lord Cooper, kurz bevor Jeannet als letzte unter den Piraten auf das Beiboot hinunterkletterte, das sie wieder an Bord ihres eigenen Schiffes bringen sollte.
Wie gerne hätte sie in diesem Augenblick den Geliebten noch einmal umarmt, noch einmal seine Nähe gespürt.
Aber das war unmöglich.
Dutzende von Augenpaaren ---und manch einzelnes dazu! ---ruhten auf ihr. Sie konnte diese Blicke regelrecht auf ihrer Haut fühlen. Unangenehm war das. In diesen Blicken lag nicht der Hauch von Respekt. Für diese Männer bin ich nicht einmal ein menschliches Wesen!, ging es ihr durch den Kopf . Sie würden mich ohne zu zögern sofort am Mastbaum aufknüpfen, wenn sie den Befehl dazu erhielten!
Und bei unserem nächsten Zusammentreffen wird das wohl auch der Fall sein...
Eine ganze Weile wagte Jeannet es nicht, sich umzudrehen, während sie mit dem Beiboot zur WITCH BURNING übersetzte.
Schließlich konnte sie es aber einfach nicht mehr aushalten. Sie drehte sich herum und sah Sir Dionasld Cooper an der Reling stehen. Die SWORD FISH hatte in der leichten Meeresbrise bereits Fahrt aufgenommen. Es war ihm unmöglich, ihr ein Zeichen zu geben oder ihr gar zuzuwinken...
Sechs Monate!, dachte Jeannet und der Gedanke daran, schnürte ihr schier die Kehle zu. Du hast schon so vieles ausgehalten, da wirst du auch diese Zeit hinter dich bringen, meldete sich eine andere, besonnenere Stimme in ihr. Aber das sagte sich so leicht. Ihr Herz jedoch war schwer.
Viel schwerer, als sie es selbst jemals für möglich gehalten hätte.
"Wann werdet Ihr mich und die Mannschaft über die Gespräche informieren, die Ihr mit dem Berater iher Majestät geführt habt?", verlangte Ben Rider zu wissen.
"Nur Geduld", antwortete Jeannet. "Du wirst schon alles erfahren. Habe ich jemals zum Nachteil der Mannschaft gehandelt, Ben?"
"Ich meine ja nur..."
"Ich habe sehr genau verstanden, was du gesagt hast", erwiderte Jeannet.
Ihre Stimme hatte einen schneidenden Tonfall.
Sie ahnte, dass eine schwierige Zeit vor ihr lag. Schließlich hatte Ben Rider ohnehin schon Verdacht geschöpft. Auf New Antikythera hatte er sich noch bedingungslos auf ihre Seite gestellt. Es war die Frage, ob er bei der nächsten Gelegenheit dieser Art ebenso handeln würde. Du bekommst dein Kommando!, dachte Jeannet. Du musst nur noch ein bisschen warten...
Auf jeden Fall durfte
Weitere Kostenlose Bücher