Fluch der Meere (Historischer Roman) (German Edition)
nicht einmal etwas ahnten? Und wie könnte ein solcher Trumpf aussehen?
Im Moment waren die Piraten so gut wie verloren. Sie schienen das selber zu wissen, sonst hätten sie nicht nach dieser List gegriffen.
"König?", wunderte sich der Erste.
Der Lord wurde aufmerksam.
Ihre eigenen Signalleute hatten eine bessere Position, um zu sehen, welche Flaggensignale von drüben kamen. Sie gaben das weiter, was sie verstanden.
Der Lord kniff die Augen zusammen, als könnte er dadurch besser sehen.
Von drüben wurde irgend etwas signalisiert von einem wertvollen Gefangenen!
Dem Lord fiel es wie Schuppen von den Augen: So also sah die Finte aus! Die wollten verhindern, dass man sie versenkte, indem sie vorgaukelten, sie hätten einen königlichen Gefangenen an Bord. Aber was war, wenn es diesen Gefangenen tatsächlich gab?
Eigentlich war es dem Lord ziemlich egal, denn er hatte ohnehin nicht vor, das Piratenschiff zu versenken. Die ahnten es allerdings nicht. Wie denn auch?
Wie sollte er jetzt weiter vorgehen? Auf die Finte eingehen? Aber was dann?
Er deutete den fragenden Blick seines Ersten richtig: "Wir antworten nicht!"
Wäre ja noch schöner, dachte er im Stillen. Die würden uns wohl für blöd halten, wenn wir sofort auf ihre Finte eingingen. Es genügt, wenn vorläufig kein einziger Schuß fällt. Noch nicht einmal ein Warnschuß. Es besteht ja auch noch kein Grund dafür.
"Mylord!", rief der Mann im Ausguck, sodass es fast jeder auf dem Schiff verstehen konnte: "Die setzen gerade ein Boot zu Wasser. Darin befindet... sich nur eine Person."
"Doch nicht etwa der besagte Gefangene?", überlegte der Lord laut.
"Beobachten!", befahl er als nächstes. "Und nichts unternehmen! Sobald das Boot uns erreicht, die Person an Bord nehmen, jedoch streng bewachen!"
"Laut Signalen: Sie schicken uns... ihren Kapitän!", gab der Erste an seinen Lord weiter. Man konnte ihm deutlich anhören, dass er es selber nicht glauben konnte.
"Also nicht den Gefangenen? Der Kapitän persönlich, der sich anstelle seiner Besatzung ausliefert oder wie?", überlegte der Lord laut genug, daß die Umstehenden es verstehen konnten. Es war ihm egal. Er schürzte die Lippen. "Na, auf diesen Kapitän bin ich besonders gespannt."
"Seid ihr überzeugt davon, Mylord, dass es sich um dieses meistgesuchte Piratenschiff auch tatsächlich handelt?", erkundigte sich der Erste.
"Nun, habt Ihr die Galeone im Schlepptau gesehen? Das ist ein anderes Freibeuterschiff, ein englisches, wie ich meine. Und es war doch eigentlich dieser Fregatte an Kampfkraft deutlich überlegen, nicht wahr?
Suchen wir den Piraten nicht deshalb, weil er englische Schiffe überfällt
- erfolgreich auch dann, wenn die ihm eigentlich überlegen sind?"
"Es spricht in der Tat alles dafür, Mylord. Verzeiht meine Zweifel."
"Und noch etwas spricht dafür: Diese Finte mit dem wertvollen Gefangenen. Oder handelt es sich gar um mehrere Gefangene?"
"Das ging nicht deutlich genug aus den Signalen hervor, Mylord."
"Also bin ich sogar zweifach gespannt auf den Kapitän und Anführer der Piraten: Ich möchte den kennenlernen, der nun schon seit Jahren die englische Admiralität an der Nase herumführt und durch seine dreisten Überfälle den Nimbus der Unbesiegbarkeit erlangte. Zum zweiten will ich mehr erfahren über diesen Trick mit den angeblich wertvollen Gefangenen, die man als Geiseln gegen die drohende Niederlage einzusetzen gedenkt..."
Der Lord war sicherlich nicht der einzige an Bord der Kriegsgaleone, der so neugierig auf diesen Menschen war, der es jetzt sogar wagte, völlig allein zu ihnen an Bord zu kommen.
Ihr Erstaunen jedoch wuchs, als sie schon von weitem erkannten, dass es sich zweifelsohne... um eine Frau handelte! Sie trug zwar Männerkleidung, doch ihr flammendroter Haarschopf wehte im Wind wie züngelndes Feuer. Sie lag in den Riemen, als würde sie niemals etwas anderes tun, als unermüdlich zu rudern. Und so erreichte sie in relativ kurzer Zeit die Kriegsgaleone Ihrer Majestät, der Königin Elisabeth von England, befehligt von ihrem unmittelbaren Berater Lord Donald Cooper.
*
Das Boot schrammte gegen die Wandungen der Galeone, die sich vor ihr auftürmte wie eine schwimmende Festung. Und genau das war sie ja auch im Grunde genommen.
Eine Strickleiter wurde heruntergeworfen. Die dies taten, sah sie oben an der Reling herabgrinsen. Sie konnten sich anscheinend nicht vorstellen, dass es einer Frau gelingen könnte, so ohne weiteres an einer Strickleiter
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