Fluch der Meere (Historischer Roman) (German Edition)
vor?"
"Keine Bange, ich habe nicht die Absicht, Euch zu vergewaltigen. Nicht nur deshalb nicht, weil ich mir vorstellen kann, daran wenig Freude zu finden."
"Zumal ich mich durchaus zu wehren vermag!", warnte sie vorsorglich.
"Nein, nicht nur deshalb nicht: Ich würde niemals einer Frau dergestalt Gewalt antun. Kein normaler Mann möchte das. Diejenigen, die dies bevorzugen, verachte ich."
"Aber Ihr seid ein... Lord Ihrer Majestät!"
"Was hat das denn damit zu tun?"
Er blieb unwillkürlich stehen, runzelte die Stirn und betrachtete sie forschend.
"Es war ein Lord - damals! Er kam mit seinen betrunkenen Soldaten und überfiel unser Lager. Ich war noch Kind und meine Eltern reisten mit einer Gaukler-Truppe umher. Niemand überlebte, außer mir. Das sind Dinge, die ich niemals wieder vergessen kann."
"Ein Lord überfiel das Lager mit seinen Soldaten? Aber wieso?"
"Weil sie glaubten, dass wir mit dem Satan im Bunde wären! Man hatte sie aufgehetzt. Dabei hatte das Handwerk, dass diese Truppe ausübte, nichts mit Hexerei, sondern nur etwas mit Geschicklichkeit zu tun. Harmlose Gaukler und Spaßmacher. Meine Mutter, die
Schlangenfrau; mein Vater, der Jongleur, Kunstschütze und Messerwerfer. Die Schauspieler, dann die anderen Artisten aus allen Ländern Europas. Ich habe alles von ihnen gelernt, auch ihre Sprachen. Nur nicht die höfischen Sitten und Gebräuche. Die Schauspieler hätten mir auch dies beibringen können, aber es war das einzige, was mich nie interessierte."
Jeannet sprach weiter. Fast wie in Trance. Sie hatte das Gefühl, dass sich ihre Lippen von allein bewegten. Die junge Frau sprach davon, wie sie in den Hafenstädten überlebt hatte, wie sie als blinde Passagierin an Bord eines Seglers gelangt und schließlich in die Hände von Piraten gelangt war, denen sie sich angeschlossen hatte. Sie erschrak plötzlich.
"Mein Gott!", murmelte sie fassungslos. "Wieso...? Wieso habe ich Euch das überhaupt erzählt? Noch nie zuvor habe ich auch nur ein Sterbenswörtchen zu einem anderen Menschen darüber..."
"Schicksal, meine Liebe!", unterbrach sie der Lord. "Seht, es war Schicksal, dass Ihr dieses Schreckliche habt erleben müssen. Es war Schicksal, dass die Natur dafür sorgte, als Einzige zu überleben, weil sie Euch mit den entsprechenden Fähigkeiten ausgestattet hat. Auch war es Schicksal, dass Ihr daraufhin Piratin wurdet - und hier und heute vor mir steht."
Er trat auf sie zu. Vorsichtig fasste er sie bei den Schultern. Sie ließ es geschehen.
"Ihr zittert ja!"
Sie schluckte.
"Was starrt Ihr mich so an?"
"Ich starre nicht, sondern ich betrachte diese wunderschöne Frau, die mein Herz rührt wie noch niemals zuvor eine andere. Ja, ich will Euch sagen, warum ich mit Euch allein sprechen wollte. Als ich Euch vorhin zum ersten Mal sah, da wusste ich, dass ich mich in Euch verliebt habe. Es war wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Und da habt Ihr wirklich geglaubt, ich könnte Euch Gewalt antun?"
"Woher sollte ich das wissen?", flüsterte sie.
"Macht mir nichts vor! Ihr wusstet es!"
"Ich? Nein!"
"Ich habe Euren Blick gesehen. Warum Eure Worte etwas anderes sagen, als Euer Herz, weiß ich nicht. Aber es sollte mich schon sehr wundern, wenn mein Gefühl mich da trügen würde!"
Es ist sinnlos, sich weiter dagegen zu wehren!, ging es Jeannet durch den Kopf. Deine Zeit als Nonne unter schwarzer Flagge ist vorbei. Selbst wenn du ihm nie wieder begegnen solltest, wirst du immer an ihn denken müssen!
"War das Erlebnis damals wirklich so schlimm, dass Ihr nicht mehr fühlen könnt wie eine normale Frau?"
"Nein, damit habe ich keine Probleme, Mylord, aber mit Eurem Titel!"
"Weil er Euch an damals erinnert?"
"Ja - und auch daran, dass ich den Adel hasse - den englischen ganz besonders."
"Darum überfallt Ihr bevorzugt englische Schiffe?"
"Das hat andere Gründe: Habt Ihr je gesehen, wie die englischen Freibeuter mit den Menschen an Bord der Schiffe verfahren, die ihnen in die Hände fallen? Es sind dieselben Bilder wie damals. Dieselben Schreie, dieselben Grausamkeiten."
"Und deshalb müssen sie dafür büßen?"
"Ihr habt es erfasst, Mylord - und jetzt lasst mich wieder los, ehe ich handgreiflich werden muss."
"Wollt Ihr das wirklich?", fragte er ruhig und kam mit seinem Gesicht ganz nahe.
Nein!, schrie ihr Inneres. Nein, ich will nicht wirklich, dass du die Hände von meinen Schultern nimmst. Ganz im Gegenteil... Sein Gesicht war jetzt so nah, dass sie seinen Atem riechen konnte. Das
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