Fluch der Nacht: Roman
Nicolas’ Hand auf ihrem Rücken. Er war auch in ihrem Geist, was ihr den nötigen Halt gab, um Natalya gegenüberzutreten, die ihr tatsächlich ziemlich ähnlich sah. Falls Razvan einmal ausgeschaut hatte wie sie, war das Geschichte, aber Natalya hätte ihre Mutter – oder Schwester – sein können.
Sie winkte sie zu einem tiefen, bequem aussehenden Sessel. »Bitte setz dich doch. Es ist wunderbar, dich endlich kennenzulernen.«
Nicolas nahm ihre Hand, als sie sich in die dicken Kissen sinken ließ, und strich zärtlich mit dem Daumen darüber. Wirst du ein paar Minuten ohne mich zurechtkommen?
Lara krampfte sich der Magen zusammen. Seit wann war sie so feige? Hatten der Geruch und der Anblick von Parasiten und silbrigen Augen ihr so zugesetzt, dass sie nicht einmal mehr für kurze Zeit allein zurechtkam? Vielleicht hatte sie den Tod in diesen Augen gesehen und Verfall gerochen? Welches Kindheitstrauma auch immer sie ausgegraben hatte, es ließ sie einfach nicht mehr los. Die Tür hatte sich einen Spalt geöffnet, und sie musste zusehen, wie sie damit fertigwurde.
Sie erhob den Blick zu Nicolas. Er sah ganz ruhig und beherrscht aus und schien mit sich selbst im Reinen zu sein, während sie ganz aufgewühlt von Zweifeln war. Auch er musste sich mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen.
Wir werden es zusammen tun. Wieder überflutete er sie mit Wärme und gab ihr das Gefühl, ein Teil von ihm und nicht so allein zu sein.
Ja, das werden wir. Und mach dir meinetwegen keine Sorgen, ich komme schon zurecht.
Nicolas bückte sich, um ihr einen Kuss aufs Haar zu geben. Rühr mein Bewusstsein an, falls du mich brauchst, denn ansonsten halte ich uns getrennt .
Lara befeuchtete die Lippen, weil sie wusste, was er meinte. Natürlich würde er seinen Geist vor ihr verschließen, damit sie nicht »sah« oder spürte, was geschah, während er Blut zu sich nahm. Sie nickte, um ihm zu zeigen, dass sie verstand, und schaffte es sogar, sich ein kleines, beruhigendes Lächeln abzuringen.
Natalya sah Nicolas nach, als er mit Vikirnoff ging. »Ist er gut zu dir?«, fragte sie ganz unvermittelt. »Die Brüder de la Cruz haben einen gewissen Ruf und leben nach ihren eigenen Regeln.«
Die Frage überraschte Lara, und sie war nicht ganz sicher, wie sie sie beantworten sollte. »Wir haben uns gerade erst kennengelernt.«
Natalya nickte. »Und er hat dich an sich gebunden, aber das Ritual ist noch nicht ganz vollzogen. Weißt du, was mit dem Mann geschieht, wenn das Ritual vollzogen ist?«
Lara schüttelte den Kopf. »Ich weiß nur, was meine Tanten mir in ihren Geschichten erzählt haben. Damals war ich noch ein Kind, und meine Erinnerungen an jene Jahre sind verschwommen, sodass einige auch nicht ganz korrekt sein könnten. Ich weiß oft nicht mehr, was real ist, was mir von ihnen in den Kopf gesetzt wurde oder meine eigene Einbildung ist.«
»Das muss ja sehr verwirrend für dich sein.«
»Ja, doch ich lerne viel.«
»Es tut mir leid, dass ich dir Unbehagen bereite. Ich bin überaus erfreut, dich kennenzulernen, denn schließlich bist du meine Nichte. Colby, die Seelengefährtin von Rafael, ist deine Halbschwester. Razvan war auch ihr Vater, Lara.«
Jeder Muskel ihres Körpers und all ihre Nerven waren beinahe schmerzhaft angespannt. Natalya hatte Colby ganz bewusst ins Spiel gebracht, um Laras Reaktion zu sehen. Sie zwang sich aber, eine ausdruckslose Miene aufzusetzen. »Ich habe ein paar Rückblicke gehabt, die den Schluss zuließen, dass Xavier sich Razvans Körpers bemächtigte, um Frauen zu verführen und zu schwängern, um sich dann von dem Blut von Angehörigen der Drachensucher-Linie ernähren zu können.«
Natalya verzog angewidert das Gesicht. »So wollte er auch mich benutzen. Razvan überzeugte ihn jedoch, dass ich nicht genügend Drachensucher-Blut besäße, um ihm dienlich zu sein. Er hat mich während meiner gesamten Kindheit beschützt und auch noch in den Jahren danach. Ich wusste bis vor Kurzem nicht, was aus ihm geworden war, und dann glaubte ich, er sei irgendwie zum Vampir geworden oder stünde mit ihnen im Bunde.« Sie beugte sich vor und sah Lara aus ihren blaugrünen Augen prüfend an. »Weißt du, ob das stimmt? Oder ob er überhaupt noch lebt?«
Lara biss sich auf die Unterlippe. Was wusste sie eigentlich schon über Razvan? Ihre Kindheitserinnerungen waren falsch und lückenhaft gewesen. Sie hatte sich an kaum etwas erinnert, bis sie die Parasiten gesehen hatte. War Razvan böse? War er böse
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