Fluch der Nacht: Roman
Norden ... Syndil verbeugte sich tief und vollführte eine Drehung. Den Süden. Skyler wiederholte die Bewegung in perfekter Synchronisation mit Syndil. Den Osten. Lara verneigte sich respektvoll und drehte sich mit den anderen beiden Frauen, als Natalya an der Reihe war. Den Westen. Alle vier Frauen vollführten die vierte Verbeugung und drehten sich in exakt dem gleichen Moment um. Den Himmel über uns, die Erde unter uns und auch das Innere der Erde.
Macht flammte auf, die jetzt so lebendig war, dass sie die Luft im Raum zum Schwingen brachte; sichtbare Fäden verbanden alle Frauen miteinander und schöpften Kraft aus ihrer Energie.
Unsere Liebe zu dem Land heilt, was in Not ist. Wir vereinen uns jetzt mit dir, Erde zu Erde. Der Zyklus des Lebens ist vollständig.
Der Boden unter ihren Füßen erwärmte sich. Raven und Savannah schnappten nach Luft, als eine Welle der Hitze über ihnen zusammenschlug. Die Farbe der Erde verdunkelte sich noch mehr und wurde zu einem tiefen, fruchtbaren Schwarz, das von Mineralien funkelte.
Unter den Sohlen ihrer nackten Füße spürte Lara die Freude der Erde, die durch ihre Beine in sie hinaufströmte, um ihren ganzen Körper mit Kraft und Glücksgefühlen zu durchfluten. Als Teil eines kosmischen Ganzen war sie eins mit den Frauen und eins mit dem Universum und empfand ein wunderbares Selbstvertrauen und Gefühl des Einklangs mit sich selbst. Für diesen einen denkwürdigen Moment fühlte sie sich frei von Ängsten und Verwundbarkeiten und als Teil eines größeren Ganzen. Ein schon fast euphorisches Gefühl des Wohlbehagens durchflutete sie, das ihr von der Energie und dem Frieden um sie herum übermittelt wurde.
Die Tänzerinnen hörten auf, sich zu wiegen, und gruben ihre Hände in den fruchtbaren Boden, der weitaus wertvoller für sie war als die reichhaltigste aller Goldminen. Sie hätten alle ausgelaugt und erschöpft sein müssen, aber die Erde erfüllte sie mit Energie.
Syndils Gesicht spiegelte die gleiche Freude wider, die Lara empfand, und ihre Augen glänzten vor Erstaunen.
»Das ist es, was die Erde für unsere Frauen sein sollte«, sagte sie. »Und zu viert können wir jetzt so viel mehr bewirken.«
»Ich spürte schon einen Unterschied«, sagte Savannah erleichtert. »Die Krämpfe haben bereits ein wenig nachgelassen.«
Raven biss sich auf die Lippe und schüttelte den Kopf. »Mir hilft es nicht. Die Wehen werden stärker.« Verzweiflung prägte ihre Stimme.
Lara, die noch immer eins war mit den anderen Frauen, rührte den Geist des Kindes an. Furcht und Schmerz überschwemmten sie. Ihr war, als würde sie aus einem sicheren Zufluchtsort herausgezerrt, und erschrocken unterdrückte sie einen Schrei. Dem kleinen Jungen war bewusst, was mit ihm geschah, und er suchte immer wieder den Kontakt zu seiner Mutter.
Raven versuchte, ihn vor dem Schmerz und den unaufhörlichen Angriffen gegen seinen kleinen Körper abzuschirmen. Aber mehr als den körperlichen Angriff gegen ihn spürte Lara den schwer zu definierenden Strom von etwas anderem. Stirnrunzelnd blickte sie Natalya und die anderen an, um zu sehen, ob sie es auch bemerkt hatten. Das hatten sie. Alle waren von der gleichen Furcht und Verzweiflung beherrscht, den Kleinen zu verlieren.
Lara befeuchtete die Lippen, die plötzlich wie ausgetrocknet waren, und suchte instinktiv Kontakt zu Nicolas. Sofort war er da, umhüllte sie mit seiner Wärme und flößte ihr Selbstvertrauen ein mit seiner Kraft. Schon etwas gefasster atmete sie tief ein und wieder aus und versuchte, dem Faden dunklen Einflusses zu folgen, der sowohl die Mutter als auch das Kind bedrängte. Bevor Lara allerdings seinen Ursprung finden konnte, entfernte sich der Junge noch weiter.
Raven brach in tiefe, herzzerreißende Schluchzer aus, die Lara das Herz zusammenkrampften. »Ich kann nicht noch ein Kind verlieren. Mein Junge ist zu winzig, um ihn ohne eine Mutter in die nächste Welt zu schicken. Ich muss mit ihm gehen ...«
Die Frauen schnappten gleichzeitig nach Luft und waren alle sehr blass geworden.
»Das kannst du nicht!«, rief Shea. »Auf keinen Fall.«
»Mutter«, protestierte Savannah.
»Raven.« Francescas Stimme war völlig ruhig. »Wenn du beschließt, mit deinem Sohn zu gehen, wird Mikhail euch folgen. Aber unser Volk braucht euch beide. Du bist verstört, Raven, und denkst nicht klar.«
Doch Raven konnte nicht aufhören zu weinen. Shea setzte sich neben sie auf die Erde und nahm sie in die Arme, während Savannah ihre
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