Fluch der Nacht: Roman
sie noch nie gewesen. Dieser Mann hatte ihr Leben für immer verändert. Ruhig und entschieden, ja fast schon unnachgiebig stand er vor ihr, mit einem ungemein besitzergreifenden Ausdruck in den Augen und einem Mund, der derart faszinierend war, dass sie ihren Blick fast nicht von ihm lösen konnte, obwohl sie wusste, dass dieser Mann eine der gefährlichsten Kreaturen dieser Erde war.
»Tja, das ist schwer zu erklären. In erster Linie befassen wir uns mit sexuellen Forschungen. Du weißt schon, Sex in allen Kulturen im Laufe der Jahrhunderte.«
»Sehr witzig.«
»Das verdientest du nach diesem Ton.«
»Nach was für einem Ton?«
Sie warf ihm einen langen Blick zu und begann zum Gasthof zurückzugehen. Er folgte ihr, er, dessen Nähe ihr erstaunlich stark bewusst war, obwohl seine Schritte lautlos waren wie die einer großen Dschungelkatze. »Das mit dem Sex war nur ein Scherz. In Wahrheit erforsche ich Höhlen und Lebensformen in Eishöhlen.« Ein etwas herablassender Ton schwang jetzt in ihrer Stimme mit. »Aber beantworte mir doch bitte eine Frage: Verstehst du etwas von Heilkunde? Oder kennst du jemanden, der sich damit auskennt? Wir wurden nämlich von einem Hybriden angegriffen, der teils Pflanze und teils Schlange und äußerst giftig war.«
Er griff nach ihrem Ellbogen, um sie zurückzuhalten. »Hat sie dich gebissen?« Schon fuhr er mit den Händen über ihre Arme und drehte ihren Kopf von einer Seite zu der anderen. Und dann spürte sie, wie er ihren Geist anrührte.
Es war ein Schock, ein schier unglaublich intimer Augenblick für sie, als sein Bewusstsein mit ihrem verschmolz und sie ihn so sah, wie er war. Er hatte absolut nichts Sanftmütiges an sich, sondern war jemand, der von einem Moment zum anderen überaus rabiat werden konnte. Als sie ihn für eine der gefährlichsten Kreaturen auf Erden gehalten hatte, war sie nicht einmal nahe daran gewesen zu erkennen, was für eine Tötungsmaschine er war. Und trotzdem versuchte er nicht, ihr etwas vorzumachen, versuchte nicht, sich anders darzustellen, als er war, was er durchaus hätte tun können, wie sie nun erkannte. Er hätte sich sanft und freundlich geben können, aber er erwies ihr den Respekt, ihr völlig ungeschönt zu zeigen, wer er war und womit sie es zu tun hatte.
Lara holte hörbar Luft. Ihre Tanten hatten ihr erzählt, wie mächtig Karpatianer waren, und sie als heroische Vampirjäger und Beschützer der Menschen und der Magier dargestellt. Auf die rücksichtslose, gnadenlose Mentalität des Jägers war Lara allerdings nicht vorbereitet gewesen. Darüber hinaus war dieser Mann von einer Arroganz, wie sie ihr in ihrem ganzen Leben noch nie begegnet war.
Sie konnte weder ein Erschaudern noch die leise Furcht, die sie beschlich, unterdrücken. Die Hitze seines Körpers umhüllte sie, wärmte sie und vertrieb die nächtliche Kälte, die sie auch nur deswegen spürte, weil sie vergessen hatte, ihre Körpertemperatur zu regulieren. Sie versuchte, sich vor ihm abzuschirmen, indem sie ihre geistigen Schutzschilde errichtete. Diese Fähigkeit hatte sie schon immer besessen, doch da sie sie seit Jahren nicht mehr hatte benutzen müssen, war sie etwas aus der Übung und nicht mehr ganz so schnell wie früher.
»Du brauchst deinen Geist nicht vor mir zu verschließen«, sagte Nicolas. Nicht nur ihr Körper zitterte, wie er sah, sondern die gleiche Unruhe war auch in ihrem Geist zu spüren. Offenbar hatte er einen Quell der Furcht in ihr berührt oder vielleicht auch lange vergessene Erinnerungen an eine Person geweckt, die ihr nahegestanden und sie und ihr Vertrauen missbraucht hatte. »Ich kann dich nicht belügen, und ich versuche auch nicht, mir etwas zu nehmen, was du nicht zu geben bereit bist. Ich suche nur nach Parasiten und Wunden. Diese Schlangen sind gefährlicher, als du dir vorstellen kannst. Sie sind tödlich.«
Irgendwie erleichtert, ließ Lara den angehaltenen Atem entweichen. Er hatte ihre Erinnerungen an jenes verlorene kleine Mädchen also nicht genauer untersucht. Er wusste noch nicht, wer oder was sie war. Wissen war Macht, und Lara vertraute niemandem – am allerwenigsten einem Mann, der imstande war, ihren Körper zum Leben zu erwecken, nachdem er so viele Jahre wie gelähmt gewesen war. Sie konnte auf nichts vertrauen, das so schnell geschah ... oder das sich in den uralten Gefilden immenser Macht bewegte.
»Die Schlangen haben meinen Freund gebissen und ihn vergiftet. In dem Gift befanden sich winzige parasitäre
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