Fluch der Nacht: Roman
Organismen, und das Blut der Schlangen brannte wie Säure auf der Haut«, sagte sie, während sie sich von ihm entfernte und auf sehr dezente feminine Art und Weise den Rückzug antrat.
Nicolas war versucht zu lächeln, was bei ihm nur sehr, sehr selten vorkam. Er hatte seit fünfhundert Jahren nicht mehr gelächelt, aber dass diese Frau so mädchenhaft reagierte, obwohl sie sich als toughe Kriegerin darzustellen versuchte, war richtig süß. Süß. Dieses Wort hatte ihm bisher nie etwas gesagt. Er hatte es tausend Mal gehört, doch bis heute nie eine richtige Vorstellung gehabt, was es bedeuten könnte. Da er jedoch instinktiv wusste, dass sie nicht erfreut sein würde, dass er sie süß fand, behielt er seine Beobachtung für sich.
Sie war kleiner als die meisten Karpatianerinnen und reichte ihm nur knapp bis zur Mitte seiner Brust, aber sie hatte einen wohlgeformten Körper mit femininen Rundungen an all den richtigen Stellen. Sie selbst hielt sich für zu dick – diesen kleinen Gedanken hatte er noch aufgefangen, bevor er den von ihr empfangenen Informationsfluss auf bestimmte Einzelheiten begrenzt hatte. Auch das verstand er nicht. Für ihn war sie vollkommen, doch wahrscheinlich hätte er sie so oder so für perfekt gehalten, egal, wie dünn oder dick sie wäre. Wie könnte er auch anders? Sie hatte ihm sein Leben, seine Seele zurückgegeben. Plötzlich konnte er wahre Liebe für seine Brüder empfinden, wahre Ehre und ein echtes Pflichtgefühl seinem Volke gegenüber. Sie hatte eine triste graue Welt in ein faszinierendes Wunderland verwandelt und war der Inbegriff der Schönheit für ihn mit ihrem klassischen Knochenbau und den wie Juwelen glitzernden Augen der Drachensucher-Linie.
Und er konnte die elektrisierende Macht spüren, die sie in sich trug. Diese Frau war kein scheues, zurückhaltendes junges Ding, sondern eine Kriegerin, die darauf eingestellt war, ihn zu bekämpfen. Nur wusste sie nicht, dass er den Kampf bereits gewonnen hatte. Sie war zum Teil Karpatianerin und würde sich daher von ihrer Natur her zu ihm hingezogen fühlen. Mit der Zeit würde die Anziehung zwischen ihnen wachsen, und er würde auf jeden Fall dafür sorgen, dass er an ihrer Seite war, während die Zeit ihre Wunder bei seiner Seelengefährtin bewirkte.
»Hör auf, mich so anzustarren«, sagte sie und ging schneller.
Nicolas hatte jedoch keine Mühe, mit ihr Schritt zu halten. »Tut mir leid. Mir war nicht bewusst, dass ich dich anstarre.«
Die Nacht war erfüllt von Freude, Glück und einer atemberaubenden Schönheit. Nicolas wunderte sich, dass er das alles spüren, sehen und sogar eins damit sein konnte. Die schweren, vom Wind getriebenen Wolken über ihnen bildeten groteske Formen. Das Dorf atmete, Herzen schlugen, und Kinderlachen schallte zu ihnen herüber. Warum hatte er diese Geräusche vorher nie gehört? Es waren Laute des Lebens und der Liebe, von murmelnden Vätern, rufenden Müttern und lachenden Kindern. Im Laufe der Jahrhunderte hatte Nicolas das Empfinden für den Zauber des Lebens verloren, und jetzt war dieser Zauber auf einmal wieder da und überschwemmte all seine Sinne.
Und ihre Augen, die jetzt wie ganz zu Anfang grün waren, funkelten ihn an. Grün war ihre normale Farbe, ein betörendes Smaragdgrün, das ihr rotes Haar noch intensiver wirken ließ. Eisblau war also dann die Farbe ihrer Macht. Es erfüllte Nicolas mit Befriedigung, diesen kleinen Umstand über sie entdeckt zu haben. Am liebsten hätte er gleich alles auf einmal über sie erfahren, aber er hatte schon vor langer Zeit gelernt, sich in Geduld zu üben, was ihm jahrhundertelang sehr gute Dienste geleistet hatte. Die Zeit würde ihm ihre Geheimnisse schon enthüllen, und jeder Moment, den er mit seiner Gefährtin verbrachte und all die kleinen Dinge herausfand, die ihr wahres Ich ausmachten, würde ihm sehr viel Freude bereiten.
Selbst den unerbittlichen Schmerz, den sie in seinem Körper entfachte, begrüßte er, denn auch er war nur ein weiteres Anzeichen dafür, dass er lebte, atmete und seine Welt mit dieser Frau teilte. Seine Seele war so düster, so beschädigt gewesen, dass er außerstande gewesen war, Gefühle zu verspüren, was ihn zwar vor Schmerz und Schuld und Scham abgeschirmt, aber auch das wahre Leben von ihm ferngehalten hatte.
»Du bist ein Wunder für mich. Vielleicht ist es das, was du in meinem Blick siehst, wenn du sagst, dass ich dich anstarre. Das Staunen über dieses Wunder.« Er bewahrte eine ruhige Miene, um
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