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Fluch der Nacht: Roman

Fluch der Nacht: Roman

Titel: Fluch der Nacht: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Feehan
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vor. Sie schaffte es, ein paar Jahre voranzukommen, bevor sie sich wieder in dem Netz des Schreckens verfing, das sie in ihren Erinnerungen gefangen hielt.
    Mit sechs war sie klein und dünn, unterernährt und fast immer allein. Sie hatte eine winzige Kammer, in der sie, nur mit einer dünnen Decke und ihrer zunehmenden Fähigkeit, ihre Temperatur zu regulieren, direkt auf dem Eis schlief. Aber es war schwierig für sie, die Wärme festzuhalten, und ihr ständiges Frösteln verhinderte, dass sie an Gewicht zunahm. Die Tanten waren ihr einziger Halt, sie redeten Tag und Nacht mit ihr, erzählten ihr von weit entfernten Orten und brachten ihr so viel bei, wie ein Kind verstehen kann. Sie pflanzten ihr Lektionen und Richtlinien für spätere Zeiten ein, wenn sie älter sein und sich des Wissens würde bedienen können, um mehr Gebrauch von ihrer Macht zu machen.
    Nicolas erfuhr, dass die Tanten ebenso regelmäßig ausgeblutet wurden wie Razvan, ja, oft sogar gefroren und in Eisblöcken gehalten wurden, sodass sie beim Auftauen grausam litten, und dass Lara ihre Qualen ebenso mitbekam wie die ihres gepeinigten Vaters. Es waren nur ihre Stimmen, die sie davor bewahrten durchzudrehen.
    Nicolas bewegte sich mit ihr auf die Oberfläche zu, hielt ihren Geist umfangen und hauchte ihm Wärme ein, um den Anschluss zu ihr wiederherzustellen. Er brauchte ihr Vertrauen ... und hatte es auf die schlimmstmögliche Weise selbst zerstört. Das war ihm mittlerweile klar geworden, und er verstand jetzt auch, wie es war, sich klein und hilflos vorzukommen – und völlig hoffnungslos. Er verstand voll und ganz, warum sie den einzigen Ausweg, der ihr offenstand, gewählt hatte, und dass er die Schuld daran trug, dass sie sich nun schon wieder furchtbar hilflos fühlte.
    Als eine neue Welle der Furcht sie überschwemmte und wie eine Flutwelle über ihr zusammenschlug, wusste er, dass sie wieder in einem bedeutsamen Moment ihres Lebens gefangen war. Sie merkte es sofort, als er wieder vor ihren Geist trat, sie mit seinem Schutz umgab und die Wellen der Angst mit seinem eigenen Geist abfing.
    Tu das nicht! Geh nur, verschwinde von hier, solange es noch möglich ist! Wir werden diesen Ort vielleicht nie wieder verlassen können.
    Ich gehe nicht ohne dich, Lara. Es waren meine Sünde, mein Versagen, die dich wieder hierher gebracht haben. Ich lasse dich nicht hier zurück. Wenn wir bleiben, bleiben wir zusammen.
    Und das war nicht nur so dahingesagt. Er umarmte den Körper dieses Kindes, als es mit untergezogenen Beinen auf dem Boden saß und das Bild eines Drachen auf die Eiswand zeichnete. Ein erstaunlich detailliertes Bild für ein so kleines Mädchen. Ihre kleinen Finger umklammerten den schmalen Griff einer Gabel und ritzten mit bemerkenswerter Sorgfalt Schuppen in den Körper des Drachen und in seinen langen Schwanz. Ganz und gar in ihre Kunst vertieft, ließ Lara sich viel Zeit mit ihrem Werk und summte dabei vor sich hin.
    Ein leises Geräusch riss sie aus ihrer Konzentration. Lara versteifte sich und ließ langsam die Hand von der Zeichnung sinken, während sie einen angstvollen Blick über ihre Schulter warf. Razvans breite Schultern füllten den Eingang zu der kleinen Kammer aus. Seine Augen waren dunkel vor Kummer, sein Gesicht ganz grau vor Qual. In einem Moment sah er wie ein attraktiver Mann aus, der zu viel Schmerz gesehen hatte, im nächsten krümmte sich sein Körper wie unter einer schrecklichen Belastung. Sein Gesicht verzerrte sich, und seine Augen verdrehten sich, als kämpfte er gegen einen unsichtbaren Feind an.
    »Lauf, Lara! Lauf weg, Kind! Verschwinde! Er ist in mir, er hat meinen Körper in Besitz genommen, und ich kann ihn nicht hinauswerfen. Geh!«
    Doch noch während er sie warnte, veränderte sich seine Stimme und wechselte von Besorgnis zu meckerndem Gelächter. Und obwohl es Razvan zu sein schien, der in der Tür stand, roch Lara Xavier, den verrottenden Kadaver eines Mannes, der sich weigerte zu sterben. Nicolas spürte ihre Anspannung, das wilde Pochen ihres Herzens und die Angst und das Entsetzen, die von ihr Besitz ergriffen. Auf allen vieren wich sie zurück und kauerte sich zitternd an die Wand.
    »Was ist das?«, fragte Xavier/Razvan, als er vor ihrer Zeichnung stehen blieb.
    Lara schwieg, aber ihre kindlichen Züge waren von Furcht geprägt, als sie die Hände hinter dem Rücken versteckte. Nicolas schob sie hinter sich – gerade rechtzeitig, denn Xavier fuhr herum und versetzte ihm einen derart harten

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