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Fluch der Nacht: Roman

Fluch der Nacht: Roman

Titel: Fluch der Nacht: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Feehan
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Durch entsetzte Augen starrte er auf einen Mann, der an eine Wand aus Eis gekettet war. Eine junge Frau saß weinend neben ihm und versuchte, ihm den Schweiß aus dem Gesicht zu wischen.
    Razvan, Laras Vater.
    Nicolas rang nach Atem und versuchte, sich auf das zu konzentrieren, was geschah. Razvan war nahezu völlig blutleer, schwach und kaum noch in der Lage, sich klar auszudrücken. Seine Stimme zitterte und war so leise, dass die Frau sich vorbeugen und ihr Ohr an seine Lippen halten musste, um ihn zu verstehen.
    »Shauna, bring sie hier heraus, bevor es zu spät ist! Du musst sie gehen lassen.«
    Laras Mutter schüttelte den Kopf. »Sie ist zu klein, Razvan, sie würde es allein nicht schaffen«, murmelte sie unter Tränen.
    »Es ist besser, wenn sie stirbt, als ihn an sie heranzulassen.«
    »Ich kann das nicht. Ich könnte es nicht ertragen, dich und sie zu verlieren. Es muss noch einen anderen Weg geben.«
    »Ich brauche Blut, und du hast mir schon zu viel gegeben.«
    »Sie hasst es, Blut zu spenden. Sie ist noch zu jung, um zu verstehen«, sagte Shauna abwehrend, nahm das kleine Mädchen mit den roten Locken dann aber doch auf ihren Schoß.
    Statt sich getröstet zu fühlen, wurde Nicolas nun auch noch von Shaunas Ängsten überflutet. Da er selbst gerade in dem Körper des Kindes Lara lebte, wehrte er sich gegen die Arme, die ihn festhielten, und trat um sich, schlug und biss, als Shauna den Kinderarm nach dem Mann ausstreckte, der blass und schwer gezeichnet in den Ketten hing. Nicolas’ Herz fühlte sich an, als würde es jeden Moment explodieren. Er versuchte, sich wegzudrehen, um den Zähnen zu entgehen, die auf sein kleines, freigelegtes Handgelenk zukamen. Er war immer schnell und stark gewesen und hatte seine Fähigkeiten schon in sehr frühem Alter optimiert, als andere Jungen vom Gestaltwandeln nur hatten träumen können, aber jetzt lag es nicht einmal in seiner Macht, sich zu befreien. Er konnte nur abwarten und hilflos zusehen, wie diese scharfen Zähne immer näher kamen.
    Sein Körper schreckte, angeekelt vor dem heißen Atem des Mannes, zurück. Dann hörte er ein Wimmern und spürte den verzweifelten Kampf von Laras Geist, sich zu befreien. Ihr kleiner Arm war schon mit Narben übersät. Dies war nicht das erste Mal, und es würde auch nicht das letzte Mal sein. Es gab kein Entkommen vor diesen scharfen Zähnen, die ihre Haut zerfetzten, um an die winzigen Adern darunter heranzukommen.
    Nicolas schob Lara hinter sich und schirmte sie ab, sodass sich die Zähne in sein eigenes Handgelenk bohrten. Der Schmerz, der ihn dabei durchzuckte, verschlug ihm den Atem und war wie ein Fausthieb in den Magen. Seine Sicht verdunkelte sich und verschwamm. Er konnte den Schmerz nicht minimieren, wie er es immer vermocht hatte, er musste sich davon durchfluten lassen und ihn akzeptieren, um nicht das Bewusstsein zu verlieren. Selbst als Kind hatte er schon den Schmerz bei den vielen Missgeschicken beherrschen können, die ihm passiert waren, wenn er sich zu nahe am Boden zurückverwandelt hatte oder in vollem Flug gegen einen Baum geprallt war. Doch obwohl er heute ein Mann und viel erfahrener war, war er so vollständig mit Laras Geist verschmolzen, dass er, als er diese frühen Jahre miterlebte, ebenso hilflos war, wie sie es gewesen war – und immer noch war. So inniglich mit ihr verbunden, war er kein Karpatianer mehr, der Schmerz beiseiteschieben konnte, sondern musste ihn durchleiden, so wie dieses kleine Kind es tat.
    Er spürte jeden einzelnen Zahn, der ihm Haut, Gewebe und Muskeln aufriss, fühlte den Einstich in seine Vene und merkte, wie die Lebenskraft aus seinem Körper wich. Sein Geist schrumpfte, bis er sich so klein und verletzlich fühlte, dass es sogar den Rahmen seiner Vorstellungskraft sprengte. Nicht einmal in den schlimmsten Momenten seines Lebens war er sich so hilflos vorgekommen. Die Lippen, die das Blut aus seinem Körper saugten, fühlten sich räuberisch und gierig an. Seine Glieder wurden bleiern, sein Herz kämpfte, um einen Takt zu finden, und seine Lungen rangen nach Luft.
    »Schluss! Hör auf, Razvan!«, schrie Shauna und stieß den saugenden Mund von dem kleinen Handgelenk weg. »Du bringst das Kind noch um.«
    Razvan fuhr zurück. Tränen liefen ihm übers Gesicht. »Es tut mir leid. Es tut mir so schrecklich leid, Lara. Shauna, das wird jetzt zu gefährlich. Ich kann mich nicht mehr beherrschen. Ich werde wie er.«
    »Nein, das stimmt nicht«, widersprach Shauna heftig.

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