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Fluch, Der: Roman

Fluch, Der: Roman

Titel: Fluch, Der: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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die eine Ecke des Beistelltisches. Sie traf ihn hart genug, daß er ein Stück zur Seite rutschte. Jetzt spürt sie es nicht, dachte Halleck, aber morgen wird sie einen höllisch schmerzenden blauen Fleck am Oberschenkel haben, und wenn sie Glück hat, wird sie sich fragen, woher der kommen könnte.
    Sie grapschte nach seiner Hand. Ihre Augen waren zwei große, schimmernde Teiche, in denen sich das blanke Entsetzen spiegelte. Sie sprach mit einer grauenhaften, heiser atmenden Zuversicht, die ihm einen Schauer über den Nacken jagte. Ihr Atem roch nach Gin.
    »Er sieht jetzt wie ein Alligator aus«, flüsterte sie an seinem Ohr. Ein beinahe intimes Geflüster. »Ja, genauso sieht er jetzt aus, Billy. Wie ein Untier, das gerade aus dem Schlamm an Land gekrochen ist und Menschenkleidung angezogen hat. Es war wirklich so, als würde er sich in ein Krokodil verwandeln, und ich bin heilfroh, daß er weggegangen ist. Froh. Ich glaube, wenn er nicht gegangen wäre, wäre ich abgehauen. Ja. Ich hätte mir einfach eine Tasche vollgestopft und wäre ... und wäre ...«
    Sie beugte sich immer weiter über ihn, und Billy, der diese Szene nicht mehr aushallen konnte, stand abrupt auf. Leda Rossington wankte auf ihren hohen Absätzen zurück, und er schaffte es gerade noch, sie an den Schultern zu packen und aufzufangen ... offenbar hatte auch er zuviel getrunken.
    Wenn er sie nicht erwischt hätte, wäre sie vermutlich mit dem Kopf an die Ecke der bronzegefaßten Glasplatte des Beistelltisches (Trifles, 587 Dollar plus Versandkosten) geschlagen, dieselbe Ecke, an der sie sich soeben den Oberschenkel gestoßen hatte... nur wäre sie dann anstatt mit einem großen blauen Flecken auf dem Oberschenkel gar nicht mehr aufgewacht. Als er in ihre halb wahnsinnigen Augen blickte, fragte er sich allerdings, ob Leda Rossington den Tod nicht sogar suchte.
    »Leda, ich muß gehen.«
    »Natürlich«, höhnte sie. »Bist nur gekommen, um die Sensationen zu hören, nicht wahr, mein lieber Billy?«
    »Es tut mir leid«, sagte er. »Es tut mir wirklich leid, daß das alles passiert ist. Bitte glaube mir.« Und dann hörte er sich noch dämlicherweise hinzufügen: »Wenn du mit Cary sprichst, dann wünsch ihm gute Besserung von mir.«
    »Es ist ziemlich schwierig, mit ihm zu sprechen«, sagte sie abwesend. »Es geht jetzt nämlich in seinem Mund los. Seine Gaumen werden immer dicker. Auf seiner Zunge wächst eine Platte. Ich kann zwar zu ihm sprechen, aber alles, was er zu mir sagt, alle seine Antworten, kommen wie ein – wie ein Grunzen heraus.«
    Er ging rückwärts in den Flur, entfernte sich unauffällig von ihr, wollte sie endlich los sein, wollte ihre weiche, er-barmungslos kultivierte Stimme nicht mehr hören, mußte endlich ihren grauenhaft glitzernden Augen entkommen.
    »Er wird wirklich einer«, sagte sie. »Ich meine, ein Alligator.
    Ich nehme an, daß sie ihn bald in ein Bassin stecken werden ... sie werden darauf achten müssen, daß seine Haut immer feucht bleibt.« Tränen standen in ihren geröteten Augen, und Billy beobachtete, wie der Gin aus ihrem Glas langsam auf ihren Schuh tropfte.
    »Gute Nacht, Leda«, flüsterte er.
    »Warum, Billy? Warum hast du diese alte Zigeunerin überfahren? Warum hast du dieses Unheil über Cary und mich gebracht? Warum?«
    »Leda...«
    »Komm doch in ein paar Wochen mal vorbei«, sagte sie.
    Billy fummelte hinter seinem Rücken wild nach dem Türknopf, während sie immer noch auf ihn zu kam und mit gewaltiger Willensanstrengung das höfliche Lächeln beibehielt. »Komm doch mal vorbei und laß mich sehen, wie du aussiehst, wenn du weitere vierzig, fünfzig Pfund abgenommen hast. Damit ich was zu lachen habe. Und ich werde lachen, Billy, lachen ... und lachen ... und lachen.«
    Endlich fand er den Türknopf. Er drehte ihn. Die kühle Nachtluft strich lindernd über sein erhitztes, gerötetes Gesicht.
    »Es tut mir leid, Leda. Gute Nacht ...«
    »Behalt dein Es-Tut-mir-leid für dichl« kreischte sie und warf ihm das Glas nach. Es zerschellte am rechten Türpfosten.
    »Warum mußtest du sie auch überfahren, du Mistkerl? Warum hast du all dies über uns gebracht? Warum? Warum?
    Warum!«
    Halleck rannte bis zur Ecke Lantern Drive Park Lane und brach erschöpft auf der Bank im Wartehäuschen der Bushaltestelle zusammen. Schüttelfrost überfiel ihn, und sein Hals und Magen schmerzten von aufgestoßener, beißender Magensäure. Sein Herz raste wie wild vom Gin.
    Ich habe sie überfahren und getötet,

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