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Fluch, Der: Roman

Fluch, Der: Roman

Titel: Fluch, Der: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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ins Bad gerannt war. (Unsere schlimmsten Offenbarungen erfahren wir alle im Badezimmer, mußte Billy denken.) Cary hatte mit bloßem Oberkörper vor dem Spiegel gestanden und mit weitaufgerissenen Augen hineingestarrt. Sein Rasierapparat summte vergessen in einer Hand weiter.
    Der harte gelbliche Hautflecken hatte sich ausgebreitet – er hatte jetzt ungefähr die Form eines Baumes angenommen, der seine Äste bis zu den Brustwarzen und seine Wurzeln nach unten bis zum Bauchnabel ausstreckte. Die veränderte Hautstruktur hob sich beinahe zwei Zentimeter über die normale Haut auf seinem Bauch. Sie hatte gesehen, daß sich tiefe Risse hindurchzogen. Manche wirkten tief genug, daß man den Rand eines Centstücks hätte hineinschieben können. Da hatte sie zum erstenmal gedacht, daß er langsam anfinge ... schuppig auszusehen. Und dann hatte sie das Gefühl gehabt, daß ihr die Galle hochkäme.
    »Was ist das?« hatte er sie fast angeschrien. »Leda, was ist das?«
    »Ich weiß es nicht«, hatte sie ihm geantwortet und sich dabei gezwungen, ruhig zu wirken. »Aber soviel ist klar, du mußt Michael Houston aufsuchen. Morgen, Cary.«
    »Nein, nicht morgen«, hatte er sich gewehrt und dabei weiterhin in den Spiegel auf die rauhe, gelbliche, wie Pfeilspitzen verformte Haut gestarrt. »Vielleicht ist es morgen schon wieder besser. Übermorgen, falls es sich nicht gebessert hat, aber nicht morgen.«
    »Cary ...«
    »Gib mir die Niveacreme, Leda.«
    Sie hatte ihm die Creme gereicht und war noch eine Weile neben ihm stehengeblieben – aber der Anblick, wie er die weiße, pappige Masse auf die verhornte gelbe Haut geschmiert hatte, das Kratzen, als er mit den Fingernägeln darüberfuhr, das war mehr gewesen, als sie ertragen konnte.
    Sie war ins Schlafzimmer geflohen. Das wäre das erstemal gewesen, berichtete sie Billy, das erstemal, daß sie aufrichtig froh über ihre getrennten Einzelbetten gewesen wäre, himmelfroh, daß er jetzt keine Möglichkeit hätte, sich im Schlaf umzudrehen und sie zu ... zu berühren. Sie hatte stundenlang wach gelegen und immer wieder das Ritsch-Ratsch seiner Fingernägel gehört, wenn sie auf dieser seltsamen Haut auf- und abfuhren.
    Am nächsten Abend hatte er ihr erzählt, daß es besser geworden sei; und in der Nacht darauf hatte er sogar behauptet, daß es sich wesentlich gebessert hätte. Sie hätte die Lüge in seinen Augen wohl bemerken müssen ... sie hätte erkennen müssen, daß er sich selbst damit noch viel mehr belog als sie.
    Selbst in dieser extremen Situation war Cary derselbe selbstsüchtige Hurensohn geblieben, der er ihrer Meinung nach schon immer gewesen war. Aber es hätte nicht nur an Cary gelegen, fügte sie bitter hinzu, sich immer noch nicht von der Bar abwendend, an der sie schon seit einiger Zeit ziellos mit ihrem Glas herumhantierte. Über die Jahre hätte sie ihre eigene, hochspezialisierte Sorte von Selbstsucht entwickelt. Sie hatte sich fast genauso stark an diese Illusion geklammert, hatte sie ebenso gebraucht wie er.
    In der dritten Nacht war er nur in seinen Pyjamahosen ins Schlafzimmer getreten. Sein Blick war sanft gewesen, verletzt und verblüfft. Sie hatte gerade einen Dorothy Sayers Mysteryroman noch einmal gelesen - das waren und blieben wohl für immer ihre Lieblingsbücher –, und er war ihr, als sie ihn gesehen hatte, einfach aus der Hand gefallen. Sie hätte laut geschrien, erklärte sie Billy, wenn sie nicht das Gefühl gehabt hätte, ihr wäre aller Atem genommen gewesen. Und Billy hatte Zeit, sich zu überlegen, daß keine menschliche Regung wahrhaft einzigartig ist, auch wenn man gerne dazu neigte, das zu glauben: Cary Rossington hatte offensichtlich dasselbe Selbsttäuschungsmanöver und das darauffolgende schreckliche Erwachen hinter sich, das er, Billy Halleck, selbst durchgemacht hatte.
    Leda hatte gesehen, daß die harte gelbe Hautstruktur (die  Schuppen – als etwas anderes konnte man sie nun nicht mehr bezeichnen) jetzt Carys gesamte Brust und fast den ganzen Bauch bedeckte. Sie war so dick und häßlich wie Brandnarben. Die Risse zogen sich kreuz und quer hindurch. Sie waren tief und schwarz, in den Spalten in ein zartes Rosarot übergehend, aber sie hatte absolut nicht den Wunsch verspürt, genauer hinzusehen. Wollte man anfangs noch glauben, sie wären so zufällig verstreut wie die Risse eines Bombenkraters, so erzählten die Augen einem beim zweiten Hinsehen eine ganz andere Geschichte. Über jedem Rand hob sich die hornige, gelbe

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