Fluch des Magiers
blaue Sechstel. Die Insel war neutrales Gebiet, das der Verwaltung der Lotsen unterstand. Gedacht war sie dazu, den einzelnen Seiten eine Möglichkeit zu geben, miteinander zu verhandeln, aber nun war sie zu einem Markt verkommen, auf dem man alle möglichen und unmöglichen Dinge kaufen konnte. Hier war es erlaubt, die Waren der jeweils anderen Stromseite zu erwerben. Allerdings kam die Insel für Rogon und die Seinen als Anlegestelle nicht in Frage, da sie nur ohne Waffen betreten werden durfte.
Daher landete das Lotsenboot neben einem der Brückenpfeiler an. Helfende Hände streckten sich Rogon, Tirah und den anderen entgegen, dann standen sie auf der unteren Plattform der Brücke und sahen zu, wie das Boot wieder ablegte und weiterfuhr.
»Willkommen in der Heiligen Stadt«, begrüßte sie ein Nachwuchslotse, dessen Kräfte noch nicht ausreichten, ein Schiff über den See zu bringen.
»Danke!« Rogon ging an dem jungen Mann vorbei und stieg die Treppe empor, um die Brücke überqueren zu können. Bernstein saß dabei auf seiner Schulter, während Jade sich von Tibi tragen ließ. Als dann auch noch das Ottermenschenpaar auftauchte, wandten sich die Blicke vieler Leute der Gruppe zu.
»Hast du das gesehen? Eine echte Schlangenfrau aus den Sümpfen. Und die Kleinen dort, wie putzig die aussehen! Hast du eine Ahnung, was das sein kann?«, fragte jemand seinen Begleiter.
Rogon kümmerte sich nicht darum, sondern verließ die Brücke und winkte einen der Bootsführer heran, die darauf warteten, dass Passanten ihre Dienste in Anspruch nahmen.
»Zum blauen Tempel«, erklärte er und lächelte Tirah zu. »Bald ist es geschafft!«
Als sie den Kahn bestiegen, fielen dem Bootsführer beinahe die Augen aus dem Kopf. Hier in Edessin Dareh kannte man Schlangenmenschen nur noch aus Sagen, und von Ottermenschen hatte man noch nie gehört. Der Mann brachte die Gruppe aber ohne Kommentar bis zur Tempelinsel, die ein vollkommenes Sechseck bildete und in deren Mitte sich der ebenfalls sechseckige Tempel aus blauem Marmor erhob. Am Ufer der Insel standen die Unterkünfte der Priesterschaft sowie Gästehäuser für die Pilger, die in reichlicher Zahl in die Stadt strömten.
Nachdem Rogon den Bootsführer bezahlt und die Insel betreten hatte, entdeckte er etliche Gruppen, die aus blauen Fürstentümern und Königreichen kamen und von Priestern aus ihrer Heimat herumgeführt wurden. Alle hatten sie ihren Feiertagsstaat angezogen, die Frauen weit schwingende Röcke und eng anliegende Mieder, die Männer Kniehosen und langschößige Jacken. Rotgoldene Schmuckstücke, die mit Lapislazuli, Saphiren und anderen blauen Edelsteinen besetzt waren, glänzten in der Sonne.
Auf einmal fühlte Rogon sich hier fehl am Platz. Die Kleidung, mit der er Andhir verlassen hatte, war während der langen Reise verschlissen, und so besaß er nur das Gewand, welches ihm Ssintas Schlangenfrauen genäht hatten. Deren Vorbild war jedoch die Tracht der Kessan gewesen, und so trug er lange Hosen, ein Hemd und eine ärmellose Weste, alles aus speziellen Ledersorten gefertigt. Mit Bogen und Schwert wirkte er zudem allzu kriegerisch an einem Ort, an dem die anderen Besucher sogar auf Dolche verzichtet hatten. Über seiner rechten Schulter hing auch noch eine Satteltasche mit dem Teil des erbeuteten Schatzes, den er als Spende für den Tempel vorgesehen hatte.
Das übrige Geld, das für die Besiedlung des Südens gedacht war, hatte Tirah an sich genommen. Auch sie trug von Schlangenfrauen gefertigte Kleidung, da die eigene, mit der sie sich von Rogon gelöst hatte, nur eine Illusion gewesen war. Tibi steckte in einer Tunika aus feinem Leder und hatte sich in einen weiten Umhang gehüllt, während Keke sich mit einer kurzen Tunika und Zakk sich mit einem Lendenschurz zufriedengegeben hatte. Beide trugen die Bündel mit ihren Besitztümern, aus denen ihre Blasrohre herausragten, auf dem Rücken.
Immer wieder schauten sich die Pilger zu ihnen um und fragten sich, aus welchem seltsamen Land diese Leute stammen mochten. Daher war Rogon froh, als ein junger Hilfspriester auf sie zutrat und sie nach ihrem Begehr fragte.
»Wir wollen zu der hochwürdigen Priesterin, die die Stammtafeln der blauen Reiche führt«, erklärte Rogon.
Der Jungpriester atmete auf. In jenem Teil des Tempelgeländes hielten sich weniger Menschen auf als in dem Haupttempel selbst, und die Fremden würden dort nicht so auffallen. Er bat Rogon, ihm zu folgen, und führte ihn an den Kolonnaden
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