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Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Titel: Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Twardowski
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Problem«, erwiderte Gowers beinahe sarkastisch. »John Lafflin wurde verhaftet!« Diese Antwort schien ihr Selbstbewusstsein zum ersten Mal ein wenig zu erschüttern, und schnell fügte er hinzu: »Aber das bedeutet nur, dass wir uns beeilen müssen.«
    Sie gingen jetzt immerhin ein paar Schritte, und durch die Bewegung wurde Gowers wieder an die Lächerlichkeit seiner Verkleidung erinnert. Die junge Frau schien das zu bemerken.
    »Warum tragen Sie Frauenkleider?«
    »Ich musste ein paar Verfolger abschütteln«, sagte er ärgerlich. »Was dachten Sie denn?«
    Ein Lächeln huschte über Deborahs Gesicht, als ihr wieder einfiel, was sie gedacht hatte. »Jedenfalls werden wir so nicht weit kommen«, überlegte sie laut. »Ein Sklave, der keiner ist, und eine Frau, die keine ist  – und der man das ansieht.« Sie blieb wieder stehen und seufzte kurz, als hätte sie eine schwere Entscheidung getroffen. »Lassen Sie uns die Kleider tauschen!«
    Am Ausgang des Piers, zwischen Baumwollballen und Frachtgutkisten, geschützt durch das Heck eines schlafenden Dampfschiffes, zogen die beiden jungen Leute sich aus; Rücken an Rücken, ohne Scheu, von der bloßen Notwendigkeit ihrer gefährlichen Aufgabe getrieben. Was beide dennoch zutiefst empfanden, war die Wärme des fremden Körpers, die noch in den getauschten Kleidern steckte und sich mit der ihrer eigenen Haut vermischte. Bald konnten sie das eine nicht mehr vom anderen unterscheiden.

73.
    Am selben Morgen, zur selben Zeit, als eben die Sonne aufging, erwachte auf der anderen Seite des Flusses in einem vornehmen Herrenhaus, das einst die Landschaft beherrscht hatte, dann aber von der Stadt eingeholt, überholt und schließlich verschluckt worden war, eine alte Dame aus kurzem, unruhigem Schlaf. Siebenundsechzig Jahre
hatten Eileen Clairbornes Rücken nicht beugen können, aber sie allein wusste, wie viel Schmerzen und Disziplin es gekostet hatte, aufrecht und strahlend durch ein Leben zu gehen, von dem aufgrund einer Wirbelsäulenverkrümmung noch die Ärzte des 18. Jahrhunderts vorausgesagt hatten, es würde schon früh wieder von der und in der Erde verschwinden.
    Ihre Eltern hatten sich dieser Meinung angeschlossen und nach dem misslungenen ersten Versuch noch ein halbes Dutzend besser geratene Nachkommen in die Welt gesetzt, aber Eileen hatte sie alle Lügen gestraft: war zu einer Schönheit herangewachsen, hatte den Gouverneur von Louisiana geheiratet und war lange Zeit der Mittelpunkt und Magnet der feinen Gesellschaft von New Orleans gewesen. Das verdankte sie einer schwarzen Amme, die mehr vom menschlichen Körper verstand als alle Ärzte Louisianas zusammengenommen, täglichem mehrstündigem Rückentraining und einem eisernen Willen, den niemand in einem so zarten Körper vermutet hätte.
    Auch an diesem Morgen erhob sich die zierliche Greisin unter Schmerzen, dehnte und streckte sich wie eine alte Katze, bis die nächtliche Verkrampfung ihrer Muskeln gelockert war, und verschloss dann die Tür, die sie aus Vernunftgründen seit einigen Jahren in der Nacht offen ließ, falls einmal »etwas« mit ihr passieren würde. Sie hängte jetzt ihr seidenes Nachthäubchen an die Klinke und vor das Schlüsselloch und war allein mit sich.
    Aus einem Schränkchen, dessen Schlüssel sie stets bei sich trug, nahm sie einen zusammengerollten schmalen Teppich und ein Paar kleine gusseiserne Hanteln, die ein schwarzer Schmied, der Ehemann ihrer Amme, vor über sechzig Jahren für sie angefertigt hatte. Anschließend zog sie ihr Nachthemd aus, entrollte den Teppich und legte sich splitternackt darauf, um das nie geänderte einstündige Morgentraining zu absolvieren.
    Fünfzig Jahre, bevor in Bess Mensendiecks Körperkultur des Weibes zumindest der Gedanke heilender und schulender Gymnastik formuliert wurde, praktizierte Eileen Clairborne bereits Übungen, die zum Teil denen des indischen Yoga entsprachen; vollführte also
ausgesprochen undamenhafte Bewegungen, bei denen ihre Knie ihre Schultern berührten, Ellenbogen und Fußsohlen gleichzeitig am Boden ruhten und gelegentlich Körperteile in die Luft ragten, die Kirche und Bürgertum nacheinander und seit dem Mittelalter zu einem dunklen, lichtlosen Dasein verurteilt hatten.
    Da diese Übungen in ihrer Wirksamkeit immer wieder von den Gewichten unterstützt wurden, geriet Madame Clairborne schon nach kurzer Zeit in einen heilsamen, wohltuenden Schweiß, sodass ihr Körper nicht nur warm und elastisch wurde, sondern in der

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