Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)
selbst das Eis geworden, eine kalte, harte Maschine, die ohne jedes Gefühl, durch den bloßen Willen zum Leben in Gang gehalten wurde. Langsam suchte er seine Kleidung ab, aber er hatte die Stiefel im Wasser verloren und mit den Stiefeln das Messer, das er jetzt brauchte.
Zuerst trat er ans Ufer und suchte im grauen Morgen nach angeschwemmten Wrackteilen, einem geborstenen Brett, einem rostigen Nagel, aber er sah nichts als das trübe, weiche Wasser, das sich leblos nach Süden wälzte. Danach suchte er den Strand nach einem kantigen Stein ab, aber der Mississippi und der Sand unter seinen nackten Füßen hatte die wenigen Steine, die er fand, rund und glatt geschliffen. In der Hoffnung, sie zu einem halbwegs brauchbaren Schneidewerkzeug zu sprengen, schlug er mehrere gegeneinander, doch jedes Mal sprangen nur winzige Splitter ab, schlug er den Steinen nur weiße Narben.
Er dachte jetzt an einen Ast, den er so vom Baum abreißen könnte, dass eine Spitze entstand, eine Art Speer; aber auf dieser Insel, an diesem Ufer, so weit er auch auf und ab ging, schoben nur Weiden ihre weichen, biegsamen Äste über das Wasser. John blickte zum Himmel auf, und der Ausdruck auf seinem Gesicht musste jeden Gott davor warnen, ihm zu begegnen. Sollte er die Leiche seiner Frau mit Fingernägeln und Zähnen zerreißen?!
Das kleine Wesen erwachte, weil das Blut seiner Mutter allmählich kalt, ihre Muskeln hart wurden. Es war nicht die natürliche Anspannung, Kontraktion, die das Wesen so gut kannte. Dies war eine Erstarrung, eine Umklammerung, die bald tödlich sein würde. Was so lange Frieden und Sicherheit, Leben gewesen war, wurde nun Kerker, mit jeder Minute mehr, kälter, erschreckender.
Wieder stellte sich Panik ein, Todesangst, schließlich Hass auf die enge Höhle, in der es lag. Das Fruchtwasser war nun schon weit unter dreißig Grad abgekühlt, und das Wesen würde langsam erfrieren, noch ehe es ersticken konnte. Es wehrte sich jetzt mit aller Macht gegen den Tod, trat, warf den kleinen Kopf hin und her, versuchte, sich umzudrehen. Dabei legte sich aber nur die Nabelschnur um seinen Hals und verhinderte jede weitere Gegenwehr. Nur seine Hände konnte es noch heben, streckte die schwachen Finger aus und bohrte sie von innen gegen die Bauchdecke, unter der es lag wie in einem Grab. Langsam kroch die Kälte in seine kleinen, noch biegsamen Knochen.
Dann hörte es ein Geräusch, etwas wie ein Kratzen, das langsam anschwoll, bis die ganze Bauchhöhle davon erfüllt war. Es fühlte jetzt auch die Erschütterungen, und als es, nur noch schwach, die Augen auf- und zuschlug, wurde es hell und dunkel, hell und dunkel – aber die Helligkeit überwog.
John Gowers hatte sich noch einmal gründlich abgesucht und dabei etwas gefunden, was er vorhin übersehen oder einfach nicht als brauchbares Werkzeug erkannt hatte: seine kurze, schwarz gerauchte Tonpfeife, die er auf einem Stein vorsichtig so zerschlug, dass der Pfeifenstiel wie ein kleines Stichmesser benutzt werden konnte.
Es war eine grauenhafte Arbeit, an der seine Stärke beinahe zerbrochen wäre und die er nur aushielt, weil er irgendwann die heftige, verzweifelte Bewegung in Deborahs Bauch spürte und wusste, dass er nicht allein war. Da war so viel mehr Blut, als er erwartet hatte, aber als die Haut, die Muskeln, das Bauchfell durchtrennt waren, wurde das Blut plötzlich wässrig, und er wusste, dass er die Fruchtblase zerstört haben musste.
Mit einer Hand spreizte er die klaffende Wunde im Leib seiner Frau, mit der anderen griff er hinein, ertastete vorsichtig ihre Eingeweide und fühlte dann, wie eine winzige Hand sich um einen seiner Finger schloss. Als er wusste, wie und wo das Kind lag, arbeitete er wilder und rücksichtsloser und erweiterte die grausige Öffnung in
Deborahs Bauch, bis er es fassen konnte. Er fühlte ihr Rückgrat, als er seine Hand unter das Kind schob und es herauszerrte.
Seine Augen waren weit offen, aber es schrie nicht, atmete auch nicht, und erst als John mit dem Finger in die kleine Mundhöhle fuhr, hustete es leise, spuckte blutigen Schleim, und dann kam endlich ein erster Atemzug. Es war ein Mädchen. John zog sein Hemd aus und rieb damit die gelbliche, käsige Substanz ab, mit der das Kind bedeckt war. Dabei wickelte er auch die Nabelschnur ab und durchtrennte sie wahrhaftig mit seinen Zähnen wie ein wildes Tier. Auf seinen Lippen schmeckte er das Blut, das Deborah und das Kind so lange geteilt hatten.
Zum ersten Mal
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