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Fluch von Scarborough Fair

Fluch von Scarborough Fair

Titel: Fluch von Scarborough Fair Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Werlin
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ziemlich zweideutig interpretieren.
    Beim bloßen Gedanken daran wurde Lucy rot. Ob Zach auch schon daran gedacht hatte? Oder ihre Eltern? Oder war das nur ihr eingefallen?
    Lucy hatte mit ihren Eltern bereits über Aufgabe zwei und drei gesprochen. Soledad meinte, sie solle bei Google nachsehen, und sagte was von » moderner Technik« und einem Gespräch mit Farmern. Und Leo, der Balladen-Experte, war der festen Überzeugung, dass Cleverness nichts mit Betrug zu tun hatte. Er wollte sogar einen befreundeten Rabbi fragen, ob dieser ihm ein Schofar beschaffen konnte, ein altes Musikinstrument, das aus einem Widderhorn gefertigt und an Jom Kippur benutzt wurde. » Ein Widder ist doch eine männliche Ziege, oder?«
    » Nein«, rief Soledad. » Das ist doch wohl nicht dein Ernst! Ein Widder ist ein Schafbock, und eine Ziege ist eine Ziege.«
    » Männliche Ziegen heißen Ziegenböcke«, erklärte Lucy.
    Leo schnitt eine Grimasse. » Ich könnte den Rabbi trotzdem fragen. Vielleicht gibt es in einem jüdischen Geschäft für religiöses Zubehör auch Ziegenhörner. Oder die wissen dort, wo man so was bekommt.«
    » Warum sollten sie? Daraus kann man kein Schofar machen«, stellte Soledad trocken fest.
    » Fragen kostet nichts«, erwiderte Leo stur.
    Diese Unterhaltung hatte Lucys Zuversicht in Bezug auf das Ziegenhorn nicht gerade gestärkt. Andererseits war es beruhigend, wie sicher sich Soledad mit dem nahtlosen Hemd war.
    » Mein Plan kann gar nicht schiefgehen«, erklärte sie jetzt und lehnte dabei lässig an Lucys Kommode. » Schließlich kannte dieser Elfenritter bestimmt keine Waschmaschinen!«
    » Oder Klebeband.« Das Klebeband sollte zur Herstellung der Schneiderpuppe dienen, der das nahtlose Filzhemd angepasst werden sollte. Lucy gefiel das Wort Klebeband, weil es so beruhigend banal klang.
    » Wir können den Teil mit dem Klebeband überspringen«, meinte Soledad. » Ich hab mir was anderes überlegt.«
    » Oh.« Lucy war irgendwie enttäuscht.
    Sie stand langsam auf, aber Pierre lag ihr im Weg. Lucy gab ihm mit dem Zeh einen Stups, und er rollte sich freundlicherweise zur Seite, damit sie genug Platz zum Stehen hatte. Soledad betrachtete die kleine Wölbung unter Lucys Pyjama-Oberteil. Lucy wandte sich ab und streifte den Bademantel über.
    » Okay, Mom, gib mir fünfzehn Minuten zum Duschen und Anziehen.«
    Soledad nickte. » In Ordnung. Aber ich möchte bis zum Nachmittag mit dem Hemd fertig sein, und anschließend kommt es gleich in die Waschmaschine, damit sich die Fasern glätten können. Außerdem will Padraig Seeley am Nachmittag vorbeikommen. Er hat darauf bestanden, persönlich mit mir zu sprechen.«
    » Ich bin mir nie sicher, ob du diesen Typ nun magst oder nicht«, sagte Lucy, ohne sich etwas dabei zu denken.
    » Ich mag ihn sogar sehr«, erwiderte Soledad mit einem strahlenden Lächeln. » Aber er stiehlt einem die Zeit. Jedes Mal, wenn er etwas mit mir besprechen will, sind im Nu zwei Stunden vergangen, ohne dass ich meine Arbeit erledigt habe. Dabei kann ich mich hinterher nicht mal mehr daran erinnern, worüber Padraig und ich eigentlich gesprochen haben. Das passiert mindestens einmal pro Woche.« Soledad seufzte. » Vermutlich hat auch sein Aussehen etwas damit zu tun. Wenn ich ihn ansehe, vergesse ich scheinbar alles um mich herum, auch die Zeit.«
    Lucy nickte, obwohl sie sich kaum noch an Padraigs Aussehen erinnerte. Er war an jenem schrecklichen Abend nur eine Randfigur gewesen.
    Soledad folgte Lucy den Flur entlang bis zum Badezimmer und redete noch durch die geschlossene Tür mit ihr, bis Lucy die Dusche anstellte.
    Die Dusche war ein sicherer Ort zum Weinen. Niemand konnte einen hören oder sehen, und die Tränen hinterließen keine Spuren im Gesicht. Zu diesem Zweck hatte Lucy die Dusche schon ziemlich oft benutzt. Aber an diesem Morgen musste sie nicht weinen. Soledad hatte sie mit ihrem Optimismus angesteckt, und sie wollte unbedingt an dem nahtlosen Hemd arbeiten.
    Selbst wenn sich am Ende das ganze komische Zeug (wie Zach es nannte) in Luft auflösen und sich als Unsinn erweisen sollte– denn trotz der genealogischen Beweise, die Zach gefunden hatte, trotz der Angst, die einfach nicht verschwand, trotz der ständigen Grübeleien über die Aufgaben, glaubte Lucy manchmal immer noch daran–, konnte es schließlich nichts und niemandem schaden, wenn sie das Hemd anfertigte und auch die anderen beiden Rätsel löste.
    Aber vielleicht, dachte Lucy, während sie sich das Wasser

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