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Fluch von Scarborough Fair

Fluch von Scarborough Fair

Titel: Fluch von Scarborough Fair Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Werlin
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Ich hab im Esszimmer alles vorbereitet«, sagte Soledad. » In letzter Zeit hab ich so viel mit Filz herumexperimentiert, dass ich schreien könnte. Aber jetzt bin ich endlich fertig, und heute ist der große Tag. Dann können wir das nahtlose Hemd auf der Liste abhaken und uns dem Stück Land zuwenden. Zwischen Meeresgischt und Meeresstrand. Hast du dir schon überlegt, wie man die Aufgabe lösen könnte? Ich weiß, dass Zach und Leo sich auch schon Gedanken gemacht haben.«
    » Ja.« Lucy setzte sich vorsichtig auf und schwang die Füße aus dem Bett, und im selben Moment wurde ihr bewusst– wie so oft in letzter Zeit–, wie schnell sich ihr Körper veränderte. Jetzt bereitete es ihr sogar schon Mühe, eine andere Sitz- oder Liegeposition einzunehmen. Aber wenigstens wurde ihr nicht mehr übel. Sie hatte gelernt, dass es klug war, morgens zwischen dem Aufrichten im Bett und dem Aufstehen ein oder zwei Minuten zu warten. » Ich denk darüber nach.«
    Dabei bewege ich mich ständig nur im Kreis. Aber das behielt sie für sich. Soledad war so aufgeregt wegen des versprochenen Hemds, dass sie offensichtlich noch nicht begriffen hatte, wie vollkommen unlogisch und schwierig die Aufgaben zwei und drei waren. Oder zwei, drei und vier, je nachdem, wie man zählte.
    Lucy lag nachts oft stundenlang wach und grübelte über die Aufgaben nach. Ihre Gedanken kreisten immer nur darum, auch wenn sie noch so erschöpft war, und es grenzte fast an ein Wunder, dass sie vor Schwäche nicht schon umgekippt war.
    Finde einen Morgen Ackerland zwischen Meeresgischt und Meeresstrand. Laut Lexikon war der Strand der Bereich am Ufer des Wassers. Zwischen Ufer und Wasser? Hä? Nun, angenommen Lucy fand einen Morgen Land auf einer Halbinsel. Das würde bedeuten, dass sich auf der einen Seite das Land und auf der anderen das Meer befand. Ob das funktionierte? Das schien der Aufgabe zumindest im wörtlichen Sinn gerecht zu werden.
    Aber war das nicht Betrug? Denn wenn man es so definierte, ließe sich auch behaupten, der gesamte nordamerikanische Kontinent läge zwischen Meeresgischt und Meeresstrand. Andererseits war es vielleicht doch kein Betrug, sondern nur clever. War clever sein erlaubt?
    Okay. Angenommen, sie könnte eine kleine Halbinsel ausfindig machen. Waren Grundstücke am Wasser nicht sehr teuer? Lucy besaß nur das angesparte Geld fürs College. Natürlich könnte sie sich von Soledad und Leo Geld leihen, oder war das auch schon wieder Betrug? Wenn, dann war es eine andere Art von Betrug als die Cleverness bei der Auslegung von Formulierungen und Definitionen. Das war, als würde jemand anderer für sie die Aufgabe erfüllen.
    Der Text der Ballade ließ darauf schließen, dass sie alles allein machen musste. Sogar Soledad war dieser Ansicht, sonst hätte sie Lucy die Arbeit längst abgenommen. Vielleicht durfte Lucy nicht einmal Ratschläge annehmen und war deshalb schon verdammt?
    Nein, davon stand nichts in der Ballade.
    Angenommen, sie fand den Morgen Land am Meer. Dann musste sie als Nächstes das Stück Land mit dem Horn einer Ziege pflügen. Irgendwo würde sie das Horn einer Ziege schon auftreiben. Das sollte zu schaffen sein, selbst wenn sie dafür eine lebendige Ziege kaufen und anschließend… operieren musste. Igitt. Vielleicht sollte sie lieber doch zuerst bei eBay nachschauen.
    Im Prinzip wusste Lucy, was mit Pflügen gemeint war. Sie könnte das Horn den Boden entlangziehen und mit der Spitze die Erde umgraben. Das war durchaus machbar, wenn auch körperlich anstrengend.
    Aber dann kam das Besäen mit einem einzigen Samenkorn. Besäen hieß aussäen. Sollte das winzige Samenkorn etwa in ganz kleine Stücke zerhackt werden? Aber dann würde es nicht richtig keimen, oder? Ob es zählte, wenn das, was man säte, nicht wuchs? Oder war durch die bloße Aussaat die Aufgabe im wörtlichen Sinn schon erfüllt? Das wäre wiederum clever.
    Zach würde sich mit ihr hinsetzen und jede Möglichkeit durchgehen. Das Land finden. Die Ziege finden. Was auch immer. Und sie hatte vor, mit ihm darüber zu reden. Sie konnte Zach nicht länger aus dem Weg gehen. Na schön, sie hatte keine Ahnung, was sie ihm sagen, wie sie ihn ansehen oder wie sie auf seine Blicke reagieren sollte. Aber sie musste es hinter sich bringen. Und wenn sie zu ihm ging, und sie redeten nicht über Liebe, sondern über Pflügen und Säen…
    Was das Pflügen und Säen betraf– von dem Horn der Ziege einmal ganz abgesehen–, das konnte man übrigens auch

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