Flucht aus dem Harem
noch nicht sonderlich weit gekommen. Und zweifellos würde er reich belohnt werden, wenn er dem Pascha eine entlaufene Sklavin zurückbrachte.
Aber das war es nicht, was er wollte. Er wollte ... Er wollte wissen, wie sich eine Frau anfühlte. Wie sie unter den Schichten ihrer Gewänder aussah. Wie es war, wenn sie ihn berührte. Wollte erfahren, was Frauen und Männer wirklich in der Abgeschiedenheit ihrer Schlafzimmer miteinander taten. Und ob Männer den Frauen den gleichen Genuss schenken konnten, den er in seinen Träumen so oft erlebt hatte. Der Gedanke, dass er diesem Ziel ganz nahe war, dass er nur die Hand ausstrecken musste, um es zu erreichen, war verführerischer als alles, was er jemals zu hoffen gewagt hatte.
Er machte einen Schritt von ihr weg, um wieder klar denken zu können und sich gleichzeitig etwas Distanz zu verschaffen. „Hast du gestohlen? Bist du eine Diebin oder gar eine Mörderin?“, fragte er sachlich, ohne sich seinen inneren Aufruhr anmerken zu lassen.
Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Ich bin weder eine Diebin noch eine Mörderin. Ich war eine Gefangene.“
Eine Gefangene. Es fiel ihm schwer, ruhig zu bleiben. Auch er war ein Gefangener gewesen.
„Das Einzige, was ich mir genommen habe, ist meine Freiheit.“
Freiheit. Das Wort alleine berauschte ihn noch immer wie eine Droge. Doch keinen dieser Gedanken sprach er laut aus. Stattdessen sagte er ruhig: „Der Pascha wird also keine Flotte auf die Suche nach dir schicken?“
Sie schwieg eine Weile und schob einen der Zöpfe über ihre Schulter auf den Rücken. „Der Harem ist voller Frauen. Warum sollte er ausgerechnet mich suchen lassen?“
Das war keine Antwort auf seine Frage, aber er beschloss, dass es reichen musste. „Gut. Ich werde dem Kapitän sagen, dass ich dich auf diese Reise mitgenommen habe als meine … Gesellschafterin.“
„Danke, ich …“
Er unterbrach ihre erleichterte Antwort mit einer Handbewegung. „Natürlich verlange ich eine Gegenleistung für mein Entgegenkommen.“ Seine Stimme verriet nichts von der Unsicherheit und Anspannung, die er empfand.
Das Leuchten auf ihrem Gesicht verblasste, als hätte der Wind eine Kerze gelöscht. Sie sah ihn unverwandt an, und er merkte, wie sich seine Kehle zuschnürte. In seinem Kopf formten sich Worte zu Sätzen, aber sie wollten nicht über seine Lippen. Ich war ein Gefangener wie du. Lass mich dich sehen. Lass mich dich berühren. Lehre mich die Liebe, lehre mich, wie ich Lust empfangen und Lust bereiten kann.
„Ich möchte, dass du mir für die Dauer der Reise zur Verfügung stehst“, sagte er stattdessen. Er räusperte sich, um fortzufahren, doch die Frau zerschnitt mit eisiger Stimme die eintretende Stille. „Nicht ich soll dir zur Verfügung stehen, sondern mein Körper. Das ist es doch, was du meinst, oder?“
4
Leila versuchte, sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Wie hatte sie auch glauben können, dass es so einfach wäre? Wie hatte sie nur einen Moment lang annehmen können, dass dieser Fremde sie aus reinem Mitgefühl nicht verriet und sich mit nichts als ihrer Dankbarkeit zufrieden geben würde?
Die Regeln, die im Harem galten, galten auch hier. Du willst etwas, dann gib mir etwas dafür. Sie straffte sich und sah den Mann schweigend an. Selbst im Zwielicht der Kabine glänzte sein Haar wie Rotgold. Er trug die osmanische Landestracht, die die Konturen seiner Gestalt verbarg. Sie sah nur seine schmalen Hände, die ihre Schultern mit einem erstaunlich kräftigen Griff festgehalten hatten. Die Farbe seiner Augen konnte sie nicht erkennen, aber sein glattes Gesicht verriet, dass er nicht viel älter sein konnte als sie selbst. Allerdings hinderte ihn das nicht daran, sich zu gebärden wie ein sabbernder Greis, der die sich bietende Gelegenheit skrupellos beim Schopf packte, um junges Fleisch zwischen seine Schenkel zu bekommen. Doch sie hatte keine Wahl. Und im Grunde war es auch egal. Der Lohn des Paschas für die Befriedigung seiner Bedürfnisse hatte ihr nicht mehr eingebracht als ein paar Schmuckstücke. Ihre Freiheit im Tausch dafür, diesen Mann hier ein paar Nächte lang zu ertragen, erschien ihr im Vergleich dazu ein durchaus vertretbarer Preis.
„Du darfst meinen Körper besitzen für die Dauer der Überfahrt, wenn du mir bei deinem Leben schwörst, mich nicht zu verraten, weder an den Kapitän noch an jemand anderen, bis wir in London angekommen sind. Wenn das Schiff angelegt hat, dann bin ich frei, und du lässt mich gehen.“
Er
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