Flucht aus dem Harem
nickte.
Das genügte ihr nicht. „Schwöre beim Leben deiner Mutter.“
„Meine Mutter ist tot“, antwortete er ruhig. „Ich schwöre dir bei meinem Leben, dass ich dich nicht verraten werde. Nicht an den Kapitän und auch an niemand anderen.“
Sie sah ihn argwöhnisch an. Doch es blieb ihr nichts übrig, als ihm zu glauben. Hier gab es keinen Richter. Sie konnte nur hoffen, dass er sich an seinen Schwur hielt. Sobald das Schiff in London eintraf, musste sie sich daran machen, so schnell wie möglich zu verschwinden - ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen.
„Ich will nicht die ganze Reise lang in der Kabine bleiben. Nimm daher dem Kapitän das Versprechen ab, dass ich unbehelligt an Deck gehen kann“, sagte sie und holte tief Luft. „Ich werde deine Hure sein, aber nicht die der ganzen Mannschaft.“
Sein Gesicht färbte sich rot. Er öffnete den Mund, als wollte er etwas sagen, schloss ihn jedoch wieder und nickte.
Sie wartete, aber als nichts weiter geschah, stemmte sie die Arme in die Hüften. „Worauf wartest du?“, fuhr sie ihn an. Er sollte gefälligst begreifen, dass sie sich die Zügel nicht so einfach aus der Hand nehmen ließ. „Sag dem Kapitän, dass du eine Frau in deiner Kabine hast, die während der Fahrt dort bleiben wird und die mit demselben Respekt behandelt werden will wie du, wenn sie an Deck kommt.“
„Wäre es nicht klüger damit zu warten, bis wir uns weiter von der Küste entfernt haben? Wenn der Kapitän misstrauisch wird, werden ihn keine noch so schönen Worte überzeugen können, nicht umzukehren.“ Er sprach ruhig und überlegt.
Widerstrebend musste sie zugeben, dass er Recht hatte. „Gut. Aber spätestens morgen wirst du ihn informieren.“ Sie sah sich um und ließ sich auf einen der beiden Holzhocker fallen. Die Energie, die sie durchströmt und ihr die Kraft verliehen hatte, ihre Flucht auszuführen und sich an Bord des Schiffes zu schleichen, verflog, und übrig blieb nichts als Erschöpfung. Ihr Kopf begann zu schmerzen, eine Folge der schlaflosen Nacht und der zurückliegenden Anspannung. Das Leben im Harem hatte sie träge gemacht, sie war an körperliche Betätigung nicht gewöhnt. Der Weg vom Palast zum Hafen war ihr endlos erschienen, die dünnen Seidenslipper hatten keinen Schutz vor dem Schmutz und den Steinen geboten.
Ihre Fußsohlen schmerzten, und die Muskeln in ihren Waden pochten. Sie streifte die Schuhe ab, zog die Hosenbeine ein Stück nach oben und betrachtete die aufgeplatzten Blasen an ihren Zehen.
Während sie noch in den Anblick versunken war, ging Justin zum Waschtisch und nahm die Schüssel samt dem gefüllten Krug. Unschlüssig blieb er damit vor Leila stehen.
Sie hob den Kopf. Erstaunen breitete sich auf ihrem Gesicht aus. „Danke.“ Schnell schob sie die ruinierten Schuhe beiseite, damit er die Schüssel vor ihr auf den Boden stellen konnte.
Sie wollte nach dem Krug greifen, aber da hatte er sich bereits hingehockt und goss das Wasser in die Schüssel. Zögernd hielt Leila ihren Fuß in das kühle Nass und unterdrückte ein Seufzen des Wohlbehagens, als sie ihre Zehen im Wasser bewegte. Justin hatte vom Waschtisch ein Stück Seife geholt und kniete sich neben der Schüssel nieder.
Überrascht beobachtete Leila, wie er die Ärmel seines Kaftans aufrollte und die Seife ins Wasser tauchte. Dann nahm er ihren Fuß. An den Stellen, wo die Blasen aufgeplatzt waren, brannte es kurz und heftig.
Aber nicht deshalb stockte ihr der Atem.
Es war die Situation, die sie verwirrte. Wie oft hatte sie den Pascha gewaschen, doch niemals hatte er ihr den gleichen Dienst erwiesen. Sie verfolgte gebannt, wie die schlanken Finger des Mannes sanft über ihre Zehen glitten, und mit leichten Druck das angetrocknete Blut und den Schmutz entfernten. Er arbeitete gründlich und war völlig in sein Tun vertieft. Leila blickte auf sein dichtes glänzendes Haar, und da fiel ihr ein, dass sie nicht einmal seinen Namen kannte.
„Wie heißt du?“, fragte sie und stellte fest, dass ihre Stimme belegt klang.
„Justin.“ Auch seine Stimme klang rauer als vorher.
Er stellte ihren Fuß zurück ins Wasser und spülte den Schaum ab. Dann nahm er den anderen, um ihn ebenso gründlich einzuseifen. Leila schloss die Augen. Sie war es gewöhnt, dass Frauenhände sie massierten und einölten und hatte es jedes Mal genossen. Doch das sinnliche Erlebnis, dass ihr die zweckmäßigen Berührungen dieses Fremden verschafften, traf sie völlig unvorbereitet.
Als sie sich auf den Hocker
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