Flucht aus dem Harem
spannte seine Muskeln an. Hatte ihm der Pascha einen gedungenen Mörder geschickt? Lautlos sprang er auf und war mit zwei Schritten bei der Gestalt, die er an den Schultern packte.
Ein erstickter Laut drang an seine Ohren, und er wirbelte den Eindringling herum. Weitaufgerissene violette Augen starrten ihn an, dann rutschte der Gesichtsschleier nach unten.
Justin ließ die Frau los, als hätte er sich verbrannt. Hunderte Gedanken schossen durch sein Gehirn, aber keinen davon konnte er greifen. So starrte er in das blasse, makellose Gesicht, unfähig auch nur einen einzigen klaren Satz zu artikulieren.
„Verrate mich nicht, ich flehe dich an.“ Die helle Stimme faszinierte ihn so sehr, dass er den Inhalt der Worte nicht begriff. Gebannt sah er zu, wie sie den Schleier abnahm. Dichtes schwarzes Haar, zu zwei Zöpfen geflochten, wurde sichtbar. „Ich bitte dich, verrate mich nicht“, wiederholte sie eindringlich.
„Wer …“, er musste sich räuspern, „… wer bist du?“
„Ich bin Leila. Ich bin aus dem Harem des Pascha geflohen.“
Justins Mund wurde trocken. Sein Gemach hatte sich in jenem Teil des Palastes befunden, der neben dem Garten des Harems lag. Statt Fenstern hatte es nur rechteckige, kunstvoll vergitterte Öffnungen unter der Decke des hohen Raums gegeben. Durch diese Öffnungen war das Lachen der Frauen wie das Echo eines anderen Lebens zu ihm gedrungen.
Je älter er wurde, desto sehnsüchtiger hatte er den Stimmen und dem fröhlichen Gelächter gelauscht. Seine Fantasie gaukelte ihm Bilder vor, seine Träume kreisten nur mehr darum, den Mädchen zu begegnen.
Er beschwor Daoud, ihm eine der Frauen zu bringen. Aber das lehnte der Eunuch ebenso ab, wie Bildnisse von ihnen zu beschaffen. So blieb ihm nichts, als sich an die Frauen zu erinnern, die im Salon seiner Mutter beim Tee gesessen hatten und die er nie besonders beachtet hatte.
In den letzten Jahren jedoch verlagerten sich seine nächtlichen Träume auf eine Ebene, die ihn vor Scham zur Verzweiflung brachte. Er sah sich selbst inmitten des eleganten Salons, wo der Tee in einer großen silbernen Kanne serviert wurde, nackt, und umgeben von gesichtslosen Frauen in steifen, hochgeschlossenen Kleidern, wie sie die Freundinnen seiner Mutter immer getragen hatten.
Sie berührten ihn, strichen mit behandschuhten Fingern über seinen Körper und liebkosten mit den Lippen seine Haut. Wenn er nach ihnen greifen wollte, entzogen sie sich ihm mit hellem Lachen. Diese Träume erregten ihn über alle Maßen. Allerdings konnte er sie nicht in jene Richtung lenken, in die er sie lenken wollte. Die Frauen waren immer bekleidet, niemals nackt. Was vielleicht daran lag, dass er nicht wusste, wie eine nackte Frau aussah. Sie streichelten ihn überall, aber niemals erfüllten sie seinen vordringlichsten Wunsch - sein angeschwollenes Glied zu berühren und zu liebkosen. Also tat er es selbst und ließ zu, dass sie ihm dabei zusahen und ihn mit heiseren Worten und sinnlichem Lachen anfeuerten. Dass sie ihn mit ihren Armen umfingen und wiegten, bis er sich endlich stöhnend verströmte.
Dann strichen in schwarzen Samt gehüllte Hände wieder über seinen Körper, begütigend zuerst, doch zunehmend aufreizender, bis er wieder an jenem Punkt anlangte, sie anzuflehen, ihm doch endlich Erfüllung zu schenken.
An dieser Stelle wachte er für gewöhnlich auf. Schweißüberströmt, mit rasendem Herzschlag und das Laken beschmutzt von seiner Schande.
Ohne es zu ahnen, hatten die Frauen des Harems seine Tage und seine Nächte beherrscht. Doch niemals hatte er eine von ihnen zu Gesicht bekommen. Bis zu diesem Augenblick.
Justin versuchte sich zu sammeln. Die Frau – Leila, wie ihm einfiel – sah ihn abwartend an. Er musste etwas sagen. Aber zur Hölle, er wusste nicht, was.
Außerdem reagierte sein Körper auf ihre Nähe. Allein die Tatsache, dass eine Frau vor ihm stand, machte sein Glied hart wie Marmor. Er atmete tief ein, um nicht völlig die Kontrolle zu verlieren. Ein Fehler, denn er roch ihren Duft. Jasmin, Amber, Rosen, aber noch etwas anderes mischte sich hinein. Der Geruch der Angst.
Schon wollte er ihr sagen, dass sie keine Angst zu haben brauchte, aber dann wurde ihm klar, was es bedeutete, wenn sie sich vor ihm fürchtete. Wenn sie auf ihn angewiesen war. Sie befand sich vollkommen in seiner Hand. Von seinem Verhalten hing ihr weiteres Schicksal ab. Wenn er den Kapitän informierte, würde der vermutlich umkehren und Kurs auf Alexandretta nehmen, sie waren ja
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