Flucht aus dem Harem
Gesicht. Die Dinge werden sich ändern, Leila, schon bald, und dann gehörst du mir. Nicht nur für eine Nacht, sondern für immer. Sie hörte die verhasste Stimme in ihrem Kopf und schloss die Augen. Das war es also. Karim hatte den Tod seiner Brüder geplant, um sich selbst zum Pascha zu machen und alle Macht an sich zu reißen. Wie zur Bestätigung sagte Jamilah: „Karim hat sich mehrfach nach deinem Befinden erkundigt.“
Leila unterdrückte ein Schaudern. Dann gehörst du mir. Für immer. Nein. Niemals. Eher würde sie sich von den Zinnen des Palastes stürzen, als sich noch einmal von diesem Mann berühren zu lassen.
Hastig beugte sie sich vor und packte Jamilah am Arm. „Sag ihm nicht, dass ich aufgewacht bin. Versprich mir das, ich flehe dich an.“
Erstaunt erwiderte Jamilah ihren Blick. „Wie du willst. Aber seine Sorge zeigt doch, dass du ihm etwas bedeutest. Der Machtwechsel im Palast bringt auch einen Machtwechsel im Harem mit sich. Du hast die Chance, zur Favoritin des neuen Paschas aufzusteigen, vielleicht nimmt er dich sogar zu Frau. Überlege doch, du könntest die Mutter des nächsten Paschas werden!“
Leila schüttelte den Kopf. Jeder einzelne dieser Gedanken steigerte ihre Furcht ins Unermessliche. „Sag ihm nicht, dass ich aufgewacht bin, das ist alles, worum ich dich bitte.“
Jamilah runzelte die Stirn. „Wie du möchtest.“
In diesen Worten lag nicht halb so viel Aufrichtigkeit, wie Leila es sich gewünscht hätte. Denn auch Jamilah musste an sich denken, und die Gelegenheit, ihre eigene Stellung zu festigen, indem sie einem ihrer Schützlinge eine bessere Position verschaffte, konnte sie nicht einfach ungenutzt verstreichen lassen. Leila musste sich einen Ausweg aus diesem Dilemma überlegen, und sie ahnte, dass ihr nicht viel Zeit blieb.
„Danke, Jamilah, ich danke dir“, sagte sie und zauberte ein Lächeln auf ihre Lippen, von dem ihr Herz nichts wusste. Nicht einmal Jamilah konnte sie erzählen, warum sie Karim fürchtete und warum sie niemals zulassen würde, dass er sie berührte.
Jamilah hielt das Thema für beendet und erhob sich. „Hast du Hunger? Ich lasse dir einen leichten Imbiss bringen. Hatice wartet schon ganz sehnsüchtig darauf, dich zu besuchen. Wenn du sie sehen willst, dann gib mir Bescheid.“
„Ja, schick sie zu mir. Und gegen einen Imbiss hätte ich auch nichts einzuwenden.“ Schließlich musste sie zu Kräften kommen, um Karim die Stirn zu bieten und zu überlegen, wie sie sich ihm entziehen konnte.
Hatice erschien, kaum dass Leila den letzten Bissen verzehrt hatte. Erleichtert sank die Freundin vor Leilas Lager auf die Knie. „Dass du nur wieder wach bist“, rief sie ein ums andere Mal. „Allah sei Dank.“
Leila wartete, bis sie sich beruhigt hatte. „Hör mir zu, Hatice“, sagte sie, ehe das Mädchen wieder seine Mord- und Giftlitaneien anstimmen konnte. „Ich will fliehen und du sollst mir helfen.“
Hatice starrte sie aus weitaufgerissenen Augen an. „Fliehen?“, echote sie verständnislos. „Aber warum denn?“
„Ich ertrage es hier nicht länger. Ich muss weg, sonst werde ich verrückt.“ Diese Antwort musste genügen.
Hatice schwieg einen Moment, dann sagte sie erstaunlich gefasst: „Und wie willst du das anstellen?“
„Ich weiß es noch nicht, aber mir wird schon etwas einfallen. Hilfst du mir?“ Hatice war die Einzige, die sie darum bitten konnte. Zu all den anderen Frauen hier hatte sie kein Vertrauen.
„Ja, ich helfe dir. Zumindest werde ich es versuchen.“ Hatice redete nicht lange um die Dinge herum. Das war einer der Gründe, warum Leila sie schätzte
„Danke. Und jetzt erzähl mir, was in den letzten Wochen alles passiert ist. Jamilah deutete an, Karim habe seine Brüder und deren Nachkommen vergiftet. Ist daran etwas Wahres?“
„Der Koch wurde hingerichtet, weil Karim ihn beschuldigte, verdorbene Speisen zubereitet zu haben. Alles andere sind Gerüchte, die niemand laut ausspricht, dem etwas an seinem Leben liegt.“
Leila zog die Brauen zusammen. „Er hat auch die Kinder … beseitigt?“
„Ja, und die Frauen seiner Brüder mussten bereits ihre Gemächer räumen. Nach der Feier zu seiner Amtseinführung wird er seine Favoritinnen wählen.“ Hatices Stimme klang unbeteiligt, aber Leila hörte die unausgesprochene Hoffnung darin, dass sie selbst eine von ihnen werden könnte. Hatice war ehrgeizig und steckte ihre Ziele hoch.
„Wann findet die Feier statt?“
„In drei Tagen. Der ganze Palast ist bereits in heller
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