Flucht aus Katmandu
zu dem Aussichtsturm taumelte.
Über uns erklangen immer noch zahlreiche Stimmen: hohe, aufgeregte, und tiefe, beruhigende. Freds warf das, was er gerettet hatte, die Stufen hoch, und es schlug mit einem bumm bumm auf und brachte jedwede Geräusche von oben zum Erliegen. In der Totenstille vernahmen wir nun ferne Dschungelgeräusche und ein Rascheln, von dem ich fieberhaft hoffte, daß es von Sunyash stammte; und über uns im Aussichtsturm ein wütendes Flüstern und ein Klicken und Hämmern, das mir verdächtig nach Schrotflinten oder Gewehren klang, die oben auf das Geländer gelegt wurden. Falls wir im Turm Schutz suchen mußten, würden sie uns zweifellos erschießen. Falls nicht, und wir davonliefen, würden sie uns vielleicht auch erschießen, und falls wir davonkommen sollten, wanderten wir immer noch zu Fuß des Nachts durch einen Dschungel, in dem es Tiger gab, beschmiert mit Schafblut und ein lebendiges Lamm in unseren Armen.
Wir waren in keiner besonders guten Lage, und ich war schon auf und an, zu den Leuten oben im Turm hinaufzurufen und um Schutz zu bitten, doch Freds war schon losgelaufen, und so versetzte ich dem Lamm noch einen Schlag hinter den Kopf, um es zu betäuben, und folgte Freds. Dabei hatte ich das Gefühl, so laut zu sein wie eine Dampflokomotive, und Freds war auch nicht leiser, und meine Schulterblätter kribbelten in Erwartung, daß sich eine Kugel oder eine Klaue zwischen sie senken würden. Dann erklang im Unterholz zu meiner Rechten ein Geräusch, und ich öffnete den Mund zu meinem letzten Schrei und schwang das Schaf zurück, um es dem Tiger als Opfergabe anzubieten, als die große schwarze Masse des sich nähernden Wesens enthüllte, daß es sich um Sunyash handelte, die direkt auf uns zutrottete. Dawa mußte sie nicht einmal zum Stehen bringen; Freds schien mit einem einzigen Satz auf die Plattform zu springen, und ich warf das Lamm zu ihm hoch und sprang ebenfalls an Bord. Ich landete so hart auf dem Schaf, daß ich überzeugt war, es getötet zu haben, doch es blökte und trat mich, um mir zu zeigen, daß es wohlauf war.
Und wir schwankten mit Höchstgeschwindigkeit durch den Dschungel.
5
»Ha!« sagte Freds, als er wieder zu Atem gekommen war. »War das nicht toll?«
Mir fiel keine Antwort ein.
Er fing an zu kichern. »Falls heute abend noch ein paar Tiger beim Tiger View vorbeischauen, steigen sie hoffentlich die Treppe hoch und kratzen an der Turmtür. Diese perversen Widerlinge dahinter sollen sie ganz genau sehen können. Vielleicht versucht einer sogar, die Tür aufzubrechen, und löst da drin ein paar Herzanfälle aus.«
»Du warst in letzter Zeit zu oft mit Colonel John zusammen.«
»Vielleicht,«
Dann griff Dawa mit einer Hand zurück und bedeutete uns zu schweigen, und gleichzeitig hielt er Sunyash an. Wir saßen still da. Wir waren unter dem Baldachin der Bäume hervorgekommen und standen im Elefantengras am Rand einer Wiese. »Was ist jetzt los?« hauchte ich, doch Dawa winkte erneut und noch heftiger.
Freds drückte seinen Mund auf mein Ohr. »Siehst du den Jeep da?«
Er deutete auf eine eckige Masse am Rand der Wiese. Ich nickte.
»Wilddiebe« flüsterte Freds. »Sei ganz still – das könnte gefährlich werden.«
Das könnte gefährlich werden? Ich verzog den Mund.
Bevor ich ihn aufhalten konnte, war Freds über das Geländer geklettert. Ich rutschte auf seine Seite der Plattform, doch Dawa legte eine Hand auf meinen Arm und schüttelte den Kopf. Wir saßen drei oder vier Minuten schweigend da. Dann kam Freds zurück. Er hielt einen großen kegelförmigen Gegenstand hoch, und ich ergriff ihn; er war schwer und von seltsamer Beschaffenheit, und ich legte ihn neben dem betäubten Schaf auf die Plattform. »Was, zum Teufel, ist das?« flüsterte ich, als Freds zu mir hinaufkletterte.
»Das Horn eines Rhinozerosses«, erwiderte er leise. »Sie haben es abgeschlagen, siehst du?« Er wechselte ein paar schnelle Sätze mit Dawa, und wir setzten uns wieder in Bewegung, zogen uns so langsam und leise zurück, wie es Sunyash möglich war, und schlugen dann einen Kreis um die Wiese der Wilddiebe.
»Mistkerle«, sagte Freds. »Und es war ein Armee-Jeep. Die nepalesische Armee.«
»Was hast du getan?« fragte ich.
»Ich habe alle Reifen aufgeschlitzt, das Zündkabel durchtrennt und dieses Horn vom Rücksitz geklaut. Und mir ihr Nummernschild gemerkt.«
»Sie bringen die Nashörner nur wegen der Hörner um?«
»Ja. Das sind wieder die verdammten Chinesen
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