Flucht aus Katmandu
auch.«
»Dann sieht es gar nicht magisch aus?«
»Nicht für den Steuereintreiber.«
»Keine goldenen Türme und Kristallpaläste und so weiter?«
»Im Kloster haben sie schon einige Schätze. Aber kaum jemand aus Nepal kommt je vorbei. Katmandu hält es für ein tibetanisches Dorf, das auf die falsche Seite geriet, als sie sich mit China über die Grenze einigten. Was ja im Prinzip auch stimmt. Außerdem schenkt Katmandu Dörfern direkt vor der Haustür keine Beachtung, geschweige denn so abgelegenen wie diesem.«
»Also ist es sicher.«
»Aber wenn zu viele Leute vorbeikämen, würde das Geheimnis auf jeden Fall auffliegen.«
»Daher die Straßenparanoia.«
»Genau.«
Viel später hielten wir in Hochdörfern an, die von Benzinlampen und den Scheinwerfern des Busses erhellt wurden. Bei jeder Haltestelle stiegen ein paar Passagiere aus, und die anderen fielen wieder in ihre Lethargie, bis wir schließlich nach Mitternacht in ein völlig dunkles Dorf rollten, das die Endstation war. Der Fahrer drückte auf die Hupe, und wir taumelten wie Krüppel aus dem Bus hinaus, und die Teehaus-Wirte kamen, um uns aufzulesen.
Nachdem wir unsere Rucksäcke vom Dach des Busses geholt und festgestellt hatten, daß sie völlig durchnäßt waren, folgten George und ich einem Mann in ein Teehaus, in dem ich schon einmal abgestiegen war. Als wir zu dem überfüllten Schlafsaal im Obergeschoß hinaufstiegen, sah ich in die Küche, und dort kauerte im harten Schein einer Coleman-Lampe unser Busfahrer am Ofen; mit gleichmütigem Gesichtsausdruck und regelmäßigen Bewegungen machte er sich über den letzten Rest einer großen Stahlplatte her, schaufelte mit den Händen gekochten Reis in sich hinein und schlang ihn hungrig wie ein Wolf hinab. Für ihn war es ein Arbeitstag wie jeder andere gewesen – siebzehn Stunden lang hatte er in schrecklichem Wetter einen lausigen Bus über schlechte Straßen gesteuert und dabei sicher zehn Trillionen mal das Lenkrad gedreht, und irgendwie machte mich der Gedanke glücklich, daß solche Helden direkt aus Homers Werken noch über das Antlitz dieser Erde wandelten. Wenn wir am nächsten Morgen aufstanden, würden er und seine Leute schon längst wieder unterwegs sein, zurück nach Katmandu, wo sie umdrehen und am nächsten Tag die gleiche Fahrt erneut beginnen würden. Manche Menschen müssen für ihren Lebensunterhalt wirklich arbeiten.
Das Dorf am Ende der Straße war im gleichen Zustand wie das Straßendorf tags zuvor. Es konzentrierte sich um die große staubige Fahrbahn, die es teilte. Neue Gebäude scharten sich um das Ende der Straße, alte Gebäude wurden abgerissen, um Baumaterial oder Feuerholz aus ihnen zu gewinnen, und die ganze Sache war von Feldern zum Scheißen umgeben, besonders am Fluß, der am anderen Ende des Dorfes vorbeifloß. Das ist wegen des Mangels an Toilettenpapier unumgänglich, ist ihrer Wasserversorgung aber nicht gerade förderlich. Als wir unser morgendliches Geschäft erledigten, sagte George: »Ich verstehe nicht, warum sie nicht an unsichtbare Bazillen glauben können. Luft ist unsichtbar. Ihre Götter sind unsichtbar.«
»Die Bakterientheorie ist einfach nicht intuitiv erkennbar, George.«
»Die Religion auch nicht.«
»Dessen bin ich mir nicht so sicher.«
»Aber warum sollte es da einen Unterschied geben?«
»Vielleicht ist der Grund für die Existenz des Universums für die meisten Menschen eine drängendere Frage als der Grund, weshalb sie einen flotten Otto kriegen.«
»Das ist doch verrückt.«
»Außerdem«, sagte ich, »wenn du eine gute Antwort auf die erste Frage hast, dann ist die zweite doch auch beantwortet, oder?«
Er blinzelte mich nur mit diesem eigentümlich argwöhnischen Blick an, mit dem er mich so oft bedachte.
Wir kehrten zu unserem Teehaus zurück und machten uns nach einem Frühstück aus Nebico-Waffeln und hartgekochten Eiern auf den Weg. Die Rucksäcke auf, den Trail suchen. Endlich auf dem Trek.
Zu den meisten Jahreszeiten hätte es wirklich Spaß gemacht – das Trekking ist eine der schönsten Beschäftigungen, die die Menschheit kennt. Doch im Monsun wird alles sehr naß. Die Trails werden zu Bächen, aus Bächen werden Flüsse, aus Flüssen werden Killerströme. Ungeziefer, Schimmelpilze, Fäulnis, Feuchtigkeit und Krankheiten schnellen sprunghaft in die Höhe.
Ich persönlich wandere gern im Monsun. Aber ich nehme einen kleinen Regenschirm und ein paar Stulpenstiefel mit, deren Sohlen ich so tief eingeschnitten
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