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Flucht aus Katmandu

Titel: Flucht aus Katmandu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
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habe, daß sie fast an Gummisohlen erinnern, und so hatte ich weniger Probleme mit den schlüpfrigen Wegen als George, der dieses Zubehör für unter seiner Würde hielt und nun die Konsequenzen tragen mußte. Er rutschte die meisten Hügel hinab, und sein Kopf war immer naß; aus Erfahrung weiß ich, daß dies selten der guten Laune zuträglich ist.
    Dennoch marschierten wir. Allerdings mußten wir auf die hervorragende Aussicht verzichten, die zu anderen Jahreszeiten immer solch ein Genuß ist. Im Monsun sieht man nur Wolken, Nebel, Regen und was sonst noch in der kleinen Blase des Sichtfelds auszumachen ist, und alles sieht grün und naß und irgendwie überirdisch aus, nun, da man seine Aufmerksamkeit auf seine unmittelbare Umgebung und nicht auf die Ferne konzentriert. Die moosbewachsenen Bäume sehen fremd und unwirklich aus, der Weg ist ein rötlicher Schlammstreifen, der einen durch tropfnasse grüne Kriechpflanzen führt, und eine gelegentliche Gebets- oder Mani-Mauer erhebt sich aus dem Nebel wie etwas aus dem Bhagavad Gita, was sie gewissermaßen ja auch ist. Und dann und wann erscheinen durch Risse in den Wolken die Berge, als flögen sie über einen hinweg. Oh, es hat schon seinen ganz eigenen Reiz, im Monsum auf Trekking zu gehen, und wenn man einen Regenschirm dabei hat und die richtigen Stiefel und einen Stock, um die Blutegel zur Seite zu schieben, kann es wirklich Spaß machen.
    Wenn man jedoch nicht über dieses Zubehör verfügt, ergeht es einem wie George. Keine seiner Gruppen ist je im Monsun auf Trekking gegangen, und so hatte er natürlich auch keine Erfahrung damit, und nun bezahlte er den Preis dafür, weil er vergessen hatte, wie man es richtig anstellt, falls er das überhaupt jemals gewußt haben sollte. Er rutschte immer wieder auf schlüpfrigen Abschnitten aus und trat in die Bäche, bis er selbst ausgestreckt in der Badewanne nicht nasser hätte sein können. Regen lief ihm in die Augen, und da er annahm, es gäbe sowieso nichts zu sehen und folglich nicht aufpaßte, wurde er immer wieder von Blutegeln angesprungen, was zwar schmerzlos und ohne negative Folgen ist, aber unangenehm, wenn man es nicht mag. Wir marschierten an Büschen oder hohem Gras vorbei, und wenn man aufpaßte, sah man, wie einige der kleinen schwarzen Äste wackelten; die Tierchen spüren die Wärme, die man ausstrahlt, und springen dann an Bord und wühlen sich durch Socken, Hosen oder Stiefel und saugen einem das Blut aus. Wann immer George zu seinen Beinen hinabsah und einen erwischte, heulte er laut auf. »Scheiße! O mein Gott, Blutegel!«
    »Schütte Insektenpulver auf sie, und sie fallen sofort ab.«
    »Das weiß ich.« Und er ließ seinen Rucksack in eine Pfütze fallen und beeilte sich, als hätten sich kleine Klapperschlangen auf ihm festgesetzt.
    Ich wollte ihn etwas aufmuntern und sagte: »Als ich zum ersten Mal mit meinen Kumpeln hierher kam, hatten wir auch diese Scherereien, und du weißt ja, wenn manche Leute zu Hause am Unterarm von Moskitos gestochen werden, spannen sie den Unterarmmuskel an. Die Moskitos können dann nicht nur den Stachel nicht hinausziehen, sie haben auch kein Überlaufventil, und so saugen sie dein Blut, bis sie platzen, und in der Gegend, aus der ich komme, halten wir das für einen großen Spaß. Also setzt sich ein Blutegel auf dem Unterarm meines Kumpels fest, und mein Kumpel sagt: ›He, dem werd' ich beibringen, einen Burschen aus Arkansas zu beißen, ich laß ihn platzen wie einen Moskito!‹, und er spannt den Unterarm an, und wir sehen zu. Aber das war nicht nur ein Blutegel, das war anscheinend so ein Rinderegel, der zehn Millionen mal soviel Blut saugen kann wie ein Moskito. Am Anfang war er so groß wie ein winziger Zweig, aber er wurde immer größer und größer und größer, bis er wie eine schwarze Massermelone am Arm meines Freundes hing. Der klappte ohnmächtig zusammen, und wir drückten an dem Blutegel herum, um ihn dazu zu bringen, einen Teil des Blutes wieder abzugeben, bevor wir ihn wegbrannten, aber mein Kumpel war danach noch eine Woche lang blaß wie ein Bettuch. Ist das nicht lustig?«
    Keine Antwort von George.
    Wir marschierten drei Tage lang. Die ganze Zeit über nahmen wir den Weg, den auch die geplante Straße nehmen würde, wenn sie gebaut werden würde. Ich wies George des öfteren darauf hin, doch die Aussicht schien ihn nicht zu stören. Ganz im Gegenteil, schließlich schien er der Meinung zu sein, eine Straße wäre doch keine so schlechte

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