Flucht aus Lager 14
Pjöngjang schickten. Es war Geld, das von internationalen Versicherungsgesellschaften überwiesen worden war, und es war keine einmalige Zahlung. Wie Kim erzählte, trafen in den fünf Jahren, in denen er in Pjöngjang für die staatliche Versicherungsgesellschaft tätig war, stets rechtzeitig zum Geburtstag des Führers solche Säcke ein. Sie kamen, so Kim, aus der Schweiz, aus Frankreich und Österreich sowie aus Singapur.
Seinen Angaben zufolge wurde das Geld dem Amt 39 des Zentralkomitees der Koreanischen Arbeiterpartei ausgehändigt. Diese berüchtigte Behörde wurde von Kim Jong Il in den Jahren nach 1970 gegründet, um harte Devisen anzuhäufen und ihm eine von seinem Vater, der damals noch über Nordkorea herrschte, unabhängige Machtbasis zu verschaffen. Nach Angaben von Kim (und zahlreichen anderen Flüchtlingen und veröffentlichten Berichten) kauft das Amt 39 Luxusgüter, um sich die Loyalität der nordkoreanischen Elite zu sichern. Daneben finanziert es den Kauf von im Ausland produzierten Komponenten für Marschflugkörper und andere Waffenprogramme.
Wie Kim mir erklärte, funktionierte der groß angelegte Versicherungsbetrug folgendermaßen: In Pjöngjang verfassten Manager des staatlichen Versicherungsmonopols Policen für teuer zu versichernde, aber in Nordkorea immer wieder vorkommende Katastrophen wie Explosionen in Bergwerken, Zusammenstöße von Eisenbahnzügen und Ernteeinbußen durch Überschwemmungen.
Kim und andere im Ausland operierende Vertreter der Nordkoreanischen Versicherungsgesellschaft wurden überallhin ausgeschickt, um Versicherungsmakler zu finden, die verführerisch hohe Versicherungsprämien akzeptierten, um die Kosten der nordkoreanischen Versicherung im Fall eines Eintretens solcher Unglücke zu kompensieren. »Der Hauptpunkt bei der Rückversicherungsoperation ist der, dass sie auf Katastrophen wetten«, sagte er. »Wann immer ein Unglück passiert, wird es zu einer Quelle harter Devisen« für die Regierung.
Bei Rückversicherungen geht es um Milliarden Dollar. Das hohe Risiko einzelner Versicherungen, die Kunden gegen Katastrophen versichern, wird von mehreren Versicherungsgesellschaften auf der ganzen Erde mit einer Rückversicherung abgefedert. Jahr für Jahr bemühte sich Nordkorea, so Kim, seine Angebote zwischen den großen Rückversicherern hin- und herzuschieben.
»Wir wechseln ab«, erklärte Kim. »Einmal ist es vielleicht Lloy d ’s, im nächsten Jahr vielleicht Swiss Re.«
Indem es relativ mäßige Verluste unter vielen großen Versicherungsgesellschaften verteilte, verbarg Nordkorea, welch hohes Risiko es darstellte. Die nordkoreanische Regierung bereitete sorgfältig dokumentierte Ansprüche vor, ließ sie von seinem Marionettengericht bestätigen und verlangte sofortige Zahlung. Häufig wurde in den Policen die Möglichkeit der Rückversicherer eingeschränkt, Gutachter zur Überprüfung der Ansprüche zu entsenden. Nach Aussage eines in London tätigen Experten auf dem Gebiet des Versicherungsgewerbes hatte sich Nordkorea auch das geografische Unwissen und die politische Naivität einiger Rückversicherungsunternehmen und ihrer Makler zunutze gemacht. Viele von ihnen waren der Meinung, sie hätten es mit einer Firma in Südkorea zu tun, während andere keine Ahnung davon hatten, dass Nordkorea ein abgeschotteter totalitärer Staat mit Pseudogerichten ist, der international nicht zur Rechenschaft gezogen werden kann.
Im Lauf der Zeit zogen die Rückversicherer ihre Konsequenzen aus den häufigen und teuren Ansprüchen bei Zugunglücken und gesunkenen Fährbooten, die man so gut wie nie überprüfen konnte. Anwälte für Großversicherungen wie die deutsche Allianz Global Investors, Lloy d ’s in London und etliche weitere Rückversicherungsgesellschaften reichten bei einem Londoner Gericht eine Klage gegen die Korean National Insurance Corporation ein. Sie bestritten deren Anspruch auf Zahlung des Schadens durch den Absturz eines Hubschraubers im Jahr 2005 auf ein Lagerhaus in Pjöngjang, das dem Staat gehörte. Die Gesellschaften trugen in Dokumenten vor, dass der Absturz inszeniert gewesen sei, dass die Entscheidung des nordkoreanischen Gerichts, der Anspruch sei berechtigt, manipuliert worden sei und dass Nordkorea schon mehrfach mittels eines solchen Versicherungsbetrugs Devisen zur persönlichen Verwendung Kim Jong Ils beschafft habe.
Trotzdem zogen die Rückversicherungsunternehmen ihre Anschuldigungen zuletzt zurück und stimmten einer
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