Flucht aus Lager 14
grundsätzlich als »Hunde und Schweine« anzusehen.
»Wir wurden angewiesen, in ihnen keine menschlichen Wesen zu sehen«, erklärte er mir. »Die Ausbilder sagten uns, wir dürften kein Mitgefühl zeigen. Sie sagten, ›wenn ihr das tut, werdet ihr selbst als Häftlinge enden‹.«
Außer dem Verbot, Mitgefühl zu zeigen, gab es nur wenige andere Richtlinien für den Umgang mit den Häftlingen. Folglich hatten die Wärter, wie An berichtete, auch keine Hemmungen, ihre sexuellen Bedürfnisse vor allem an jungen Frauen zu befriedigen, die in der Regel damit einverstanden waren, weil sie sich davon Vorzüge erhofften.
»Wenn sie danach schwanger wurden und ein Kind zur Welt brachten, wurden Mutter und Kind umgebracht«, sagte An. Nach seiner Erzählung hat er mit eigenen Augen gesehen, wie Neugeborene mit Eisenstangen getötet wurden. »Die Theorie hinter den Lagern besteht darin, die Nachkommen der Menschen mit falschem Bewusstsein bis in die dritte Generation zu läutern. Es wäre unvereinbar damit gewesen, eine weitere Generation zuzulassen.«
Die Wärter hatten die Möglichkeit, ein College zu besuchen, wenn sie einen Häftling festnahmen, der flüchten wollte – ein Anreiz, der bei ehrgeizigen Wärtern seine Wirkung tat. Wie An erzählte, verschafften sie den Häftlingen eine Möglichkeit zur Flucht und erschossen sie, noch bevor sie die Umzäunung des Lagers erreicht hatten.
In den meisten Fällen jedoch wurden die Häftlinge geschlagen, manchmal auch erschlagen, einfach weil die Wärter Langeweile oder schlechte Laune hatten.
Obwohl die Straflager-Wärter und ihre legitimen Kinder aufgrund ihrer Abstammung zur loyalen Klasse gehören, sind sie als Funktionäre Randfiguren, die die meiste Zeit ihres Arbeitslebens in den kalten nördlichen Regionen des Landes verbringen.
Der Elite der Elite lebt in Pjöngjang in großen Wohnungen oder in Einfamilienhäusern in geschlossenen Wohnvierteln. Außenseiter können unmöglich genau wissen, wie viele Personen diese Elite in Nordkorea umfasst, doch südkoreanische und US -amerikanische Wissenschaftler schätzen, dass es nur ein winziger Bruchteil der Bevölkerung des Landes ist, etwa zwischen 100000 und 200000 bei einer Bevölkerung von 23 Millionen Einwohnern.
Vertrauenswürdige und talentierte Angehörige der Elite erhalten regelmäßig die Erlaubnis, ins Ausland zu gehen, wo sie als Diplomaten und Handelsbevollmächtigte für Staatsunternehmen tätig sind. In den letzten zehn Jahren haben die Regierung und die Justizbehörden der Vereinigten Staaten überall auf der Erde dokumentiert, dass einige dieser Nordkoreaner in kriminelle Unternehmen verwickelt sind, die harte Devisen nach Pjöngjang schleusen.
Man bringt sie in Verbindung mit dem Fälschen von 100-Dollar-Noten, Cyberterrorismus, Drogenhandel von Heroin bis Viagra und mit dem Handel von hochwertigen, aber gefälschten Markenzigaretten. Nach Angaben von UN -Vertretern haben Nordkoreaner darüber hinaus unter Verletzung von UN -Resolutionen Raketen und Kernwaffentechnik an Länder wie Iran und Syrien verkauft.
Ein weit gereister Angehöriger der nordkoreanischen Oberschicht hat mir erzählt, wie er sich seinen Unterhalt damit verdiente, dass er sich um die Bedürfnisse und Liebhabereien Kim Jong Ils kümmerte.
Sein Name ist Kim Kwan Jin, und er wuchs in Pjöngjang als Sprössling der blaublütigen Elite auf. Er studierte englische Literatur an der Kim-Il-Sung-Universität, zu der nur Kinder von Spitzenbeamten zugelassen werden. Seine beruflichen Fachkenntnisse – vor seiner Flucht nach Südkorea 2003 – bestanden vor allem darin, einen staatlich gelenkten, weltweit angelegten Versicherungsbetrug organisiert zu haben. Dabei wurden Hunderte Millionen Dollar von einigen der weltweit größten Versicherungsunternehmen abkassiert – mit gefälschten Ansprüchen wegen angeblicher Industrieunfälle und Naturkatastrophen in Nordkorea. Und der größte Teil des Geldes ging an den » Geliebten Führer«.
Der feierliche Höhepunkt dieses Gaunerstücks ereignete sich jedes Jahr in der Woche vor Kim Jong Ils Geburtstag am 16. Februar. Im Ausland tätige hohe Vertreter der North Korean Insurance Corporation, dem Staatsmonopol, das den Betrug aufgezogen hatte, bereiteten ein besonderes Geburtstagsgeschenk vor.
In seinem Büro in Singapur sah Kim Kwan Jin Anfang Februar 2003 zu, wie seine Kollegen 20 Millionen Dollar in bar in zwei besonders strapazierfähige Säcke stopften und anschließend über Peking nach
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