Flucht aus Lager 14
ein Kind bist«, sagte der Vernehmer. »Aber meine Geduld hat Grenzen.«
Shin brachte wieder keinen Satz heraus.
»Dieser Hundesohn will nicht!«, brüllte der Chef.
Seine Helfer stürzten sich auf Shin und zogen ihm seine Kleider aus. Sie legten ihm wieder Fußschellen an, die sie an einer Kette befestigten, die von der Decke herabhing. Die Winde wurde in Gang gesetzt, seine Füße wurden unter ihm weggezogen und sein Kopf schlug mit einem dumpfen Geräusch auf dem Boden auf. Seine Hände wurden mit einem Strick zusammengebunden, dessen langes freies Ende durch eine Öse an der Decke eingefädelt wurde. Anschließend wurde er damit an den Armen so weit hochgezogen, dass sein Körper ein U bildete; der blanke Rücken hing nach unten durch.
Der Chefvernehmer brüllte weitere Fragen. In Shins Erinnerung gab er keine zusammenhängenden Antworten. Dann wies der Chef einen seiner Männer an, etwas herbeizuschaffen.
Ein Becken mit glühender Holzkohle wurde gebracht und unter Shins Rücken geschoben. Einer der Helfer nahm einen Blasebalg und fachte die Glut an. Mittels der Winde wurde Shin abgesenkt.
»Lasst ihn immer weiter herunter, bis er redet«, befahl der Chef.
Shin konnte seine verbrannte Haut riechen. Wahnsinnig vor Schmerzen versuchte sich von der Glut wegzudrehen. Einer der Wärter holte einen Haken von der Wand, stach den Jungen in den Bauch und hielt so seinen Körper über der Glut, bis Shin ohnmächtig wurde.
Er erwachte in seiner Zelle. Die Wärter hatten ihm wieder seine übergroße Häftlingskleidung übergezogen, die er mit Kot und Urin besudelt hatte. Er hatte kein Gefühl, wie lange er ohnmächtig auf dem Boden gelegen hatte. Die untere Partie seines Rückens war mit Blasen überzogen und verklebt. Seine Fußknöchel waren blankgescheuert.
Zwei Tage lang gelang es Shin irgendwie, sich in seiner Zelle fortzubewegen und zu essen. Die Wärter brachten ihm gedünstete Maiskolben sowie Maisbrei und Kohlsuppe. Doch da sich seine Brandwunden infiziert hatten, bekam er Fieber, verlor den Appetit und konnte sich kaum noch bewegen.
Als einer der Wärter Shin zusammengerollt auf dem Fußboden seiner Zelle liegen sah, rief er in den Gefängniskorridor: »Dieses Kerlchen ist wirklich ein zäher Bursche.«
Nach seiner Schätzung vergingen zehn Tage bis zu seiner letzten Vernehmung. Sie fand in seiner Zelle statt, weil er zu schwach war, um sich vom Boden zu erheben. Aber er hatte keine Angst mehr. Zum ersten Mal fand er Worte, um sich zu verteidigen.
»Ich selber war doch der, der es angezeigt hat«, sagte er. »Ich habe meine Sache gut gemacht.«
Die Vernehmer glaubten ihm nicht. Doch statt Shin einzuschüchtern oder zu misshandeln, stellten sie Fragen. Er erzählte alles, was er im Haus seiner Mutter gehört und was er dem Nachtwärter in der Schule gesagt hatte. Er bat die Vernehmer, mit Hong Sung Jo zu sprechen, dem Klassenkameraden, der die Geschichte bestätigen könne.
Sie verließen die Zelle, ohne etwas zu versprechen.
Shins Fieber wurde schlimmer. Die Blasen auf seinem Rücken schwollen mit Eiter an. Seine Zelle roch so ekelhaft, dass die Wärter sich weigerten, sie zu betreten.
Nach einigen Tagen oder auch Wochen – Shin hatte jedes Zeitgefühl verloren – öffneten Wärter seine Zellentür und befahlen zwei Häftlingen, den Raum zu betreten. Sie hoben Shin auf und trugen ihn über den Korridor zu einer anderen Zelle. Dort befand sich bereits ein Häftling.
Man hatte Shin eine Begnadigung versprochen. Hong hatte seine Geschichte bestätigt. Shin sollte den Nachtwärter der Schule nie wiedersehen.
KAPITEL 7
Die Sonne scheint sogar auf Mauselöcher
Für die Verhältnisse von Lager 14 war Shins Mithäftling schon ziemlich alt, wohl an die fünfzig Jahre. Er wollte sich nicht darüber äußern, warum er im unterirdischen Gefängnis des Lagers eingesperrt war, sondern erklärte nur, dass er hier schon viele Jahre verbracht habe und die Sonne schmerzlich vermisse.
Eine farblose, lederne Haut lag eingefallen auf seinen fleischlosen Knochen. Sein Name war Kim Jin Myung. Er bat Shin, ihn mit »Onkel« anzureden.
Shin war nicht in der Verfassung, in den ersten Wochen viel zu reden. Im Fieber lag er eingerollt auf dem kalten Boden, und er rechnete damit, dass er sterben würde. Er konnte nichts essen und trat seine Portion an seinen Mithäftling ab. Onkel nahm etwas davon, doch nur bis Shins Appetit zurückkehrte.
Während dieser Zeit übernahm Onkel die Rolle einer Krankenschwester. Er
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