Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Flucht aus Lager 14

Flucht aus Lager 14

Titel: Flucht aus Lager 14 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Harden
Vom Netzwerk:
der Stadtmitte rief eine Marktfrau nach ihm. Sie wollte wissen, was er in seinem Rucksack habe, ob er es verkaufen wolle. Shin bemühte sich, ruhig zu bleiben, und sagte, er habe etwas Reis. Sie bot ihm an, den Reis zu kaufen, für 4000 nordkoreanische Won, was etwa vier US -Dollar auf dem Schwarzmarkt entsprach.
    Shin hatte zum ersten Mal von Park gehört, dass es so etwas wie Geld gab. Bevor die Frau nach ihm gerufen hatte, hatte er verwundert mit angesehen, wie Käufer kleine Stücke Papier benutzten – er dachte sich, dass das Geld sein müsse –, um Lebensmittel und anderes zu erhalten.
    Er hatte keine Ahnung, ob 4000 Won ein angemessener Preis für seinen gestohlenen Reis war, doch er verkaufte ihn gern, um mit dem Geld ein paar Cracker und Kekse zu kaufen. Er verstaute den Rest des Geldes und verließ die Stadt zu Fuß. Sein Ziel war China, aber er wusste immer noch nicht, in welche Richtung er gehen musste.
    Unterwegs begegnete Shin mehreren erschöpft wirkenden Männern, deren Gesprächen er lauschte. Sie suchten Arbeit und hielten ebenso wie er Ausschau nach etwas Essbarem, trieben sich auf den Straßenmärkten herum und machten einen großen Bogen um die Polizei. Der eine oder andere fragte Shin, woher er komme. Er antwortete, er sei in der Gegend von Bukchang aufgewachsen, was ja nicht gelogen war, und die Fragenden gaben sich mit der Antwort zufrieden.
    Shin fand bald heraus, dass die meisten dieser Männer sich untereinander nicht kannten. Doch er mochte kaum Fragen stellen, weil er nicht in die Lage kommen wollte, ihnen die Antwort auf ihre Fragen schuldig zu bleiben.
    Nach einer Erhebung unter mehr als 1300 nordkoreanischen Flüchtlingen, die im Spätherbst und Winter 2004/2005 in China durchgeführt wurde, waren die Männer, die damals in Nordkorea umherwanderten, zumeist ungelernte Arbeiter und bankrott gegangene Kleinbauern. 23 Aber es gab unter ihnen auch Studenten, entlassene Soldaten, Mechaniker und einige ehemalige Regierungsbeamte.
    Aus der Befragung ging auch hervor, dass diese Menschen hauptsächlich aus wirtschaftlichen Gründen umherzogen und die Hoffnung hegten, in China Arbeit zu finden oder ein kleines Geschäft zu eröffnen. Ihr Leben war extrem schwierig und ihr Verhältnis zur Regierung war angespannt: Knapp ein Viertel der Männer und 37 Prozent der Frauen sagten aus, ihre Angehörigen seien an Hunger gestorben. Mehr als ein Viertel von ihnen war in Nordkorea verhaftet worden, und zehn Prozent gaben an, sie seien ins Gefängnis geschickt worden, wo Hunger, Folter und Hinrichtungen an der Tagesordnung waren. Mehr als die Hälfte der Flüchtlinge erklärte, um Nordkorea verlassen zu können, hätten sie Beamte bestechen oder die Hilfe von gewerbsmäßigen Schmugglern in Anspruch nehmen müssen.
    Shin schloss sich diesen Wanderern an, weil er es für sicherer hielt, in ihrer Gesellschaft unterwegs zu sein, als wenn er für sich alleine blieb. Er versuchte, sein Verhalten dem der Menschen anzupassen, denen er auf seinem Weg begegnete. Das war nicht schwer. Sie trugen ebenso wie er schäbige Kleider, sahen schmutzig aus, rochen schlecht und waren nahe am Verhungern.
    Als Polizeistaat toleriert Nordkorea keine Vagabunden. Gesetze verbieten den Bürgern streng, ohne offizielle Erlaubnis zwischen den Städten hin- und herzureisen. Doch nach der großen Hungersnot, dem Kollaps der staatlich gelenkten Wirtschaft, dem Aufkommen privater Märkte und mit den fast überall im Land anzutreffenden Händlern, die geschmuggelte Ware aus China feilbieten, wurden die Gesetze zumeist ignoriert. Polizisten waren bestechlich, und es gab sogar viele unter ihnen, die damit ihren Lebensunterhalt bestritten. Vagabunden mit etwas Geld in der Tasche konnten Richtung China reisen, ohne besondere Aufmerksamkeit zu erregen.
    Es gibt keine zuverlässigen Zahlen über die Flüchtlinge nach China oder über die Wanderbewegungen innerhalb des Landes. Die Chancen, einer Verhaftung zu entgehen und die Grenze zu China zu erreichen, sind je nach Saison unterschiedlich. Es hängt davon ab, wie lang es zurückliegt, dass Nordkoreas Regierung ein hartes Durchgreifen der Sicherheitskräfte befohlen hat, wie streng die chinesischen Behörden bei der Ausweisung von Flüchtlingen vorgehen, wie bereitwillig die Grenzer Bestechungsgelder entgegennehmen und wie verzweifelt die Nordkoreaner danach streben, außer Landes zu gelangen. Die nordkoreanische Regierung hat neue Arbeitslager eingerichtet für alle Händler und

Weitere Kostenlose Bücher