Flucht aus Lager 14
Nutzung ihrer persönlichen und institutionellen Kontakte im Norden werben Vermittler Führer an, die Flüchtlinge von ihrem Wohnort in Nordkorea bis zur Grenze nach China begleiten, wo sie von anderen Fluchthelfern übernommen werden, die Chinesisch sprechen und die Flüchtlinge bis zum Pekinger Flughafen bringen.
In der Nähe von Seoul sprach ich mit einer nordkoreanischen Flüchtlingsfrau, die einem Vermittler 12000 Dollar dafür bezahlt hatte, im Jahr 2002 ihren elfjährigen Sohn außer Landes zu bringen.
»Ich hatte keine Ahnung, dass es so schnell gehen würde«, sagte die Mutter, die ihren Namen nicht nennen wollte, weil sie und ihre Geschwister einen weiteren Vermittler bezahlten, der damals ihre Mutter über die Grenze schaffen sollte. »Bei meinem Sohn dauerte es nur fünf Tage, bis er an der Grenze war und über den Fluss nach China gebracht wurde. Ich fiel aus allen Wolken, als ich einen Anruf vom Flughafen Seoul erhielt und mir mitgeteilt wurde, dass ich meinen Sohn abholen könne.«
Die nordkoreanische Regierung versucht entlang der Grenze und im Landesinneren, die Schmuggleraktionen zu unterbinden – und ist damit zeitweise auch erfolgreich.
»Eine Menge Menschen werden festgenommen«, sagt Lee Jeong, ein ehemaliger nordkoreanischer Grenzbeamter. »Die Taktik ist die, dass alle Personen, die Menschen bei der Flucht ins Ausland behilflich sind, hingerichtet werden. Ich selbst war Zeuge mehrerer Hinrichtungen. Die erfolgreichen Vermittler sind erfahrene Leute, die gute Kontakte im Militär haben und die Wächter bestechen. Deren Posten werden immer wieder neu besetzt, und jeder Neue muss geschmiert werden.«
Lee, dessen Identität von südkoreanischen Geheimdienstmitarbeitern bestätigt wurde, arbeitete drei Jahre lang entlang der nordkoreanisch-chinesischen Grenze. Er führte Undercover-Agenten, die sich als Vermittler und Fluchthelfer ausgaben, um die Fluchthilfeoperationen zu unterwandern und zu zerschlagen. Nach seiner Flucht nach Südkorea erzählte mir Lee, er habe seine Kontakte im Norden genutzt, um 34 Menschen in die Freiheit zu schmuggeln.
Shin hatte weder die Kenntnisse noch das Geld oder die Kontakte, um Schmugglerorganisationen in Anspruch zu nehmen, und er kannte niemanden außerhalb Nordkoreas, der für ihn erfahrene Fluchthelfer hätte engagieren können.
Doch indem er wenig redete und seine Augen offen hielt, bewegte er sich im Windschatten des Schmugglerwesens, des privaten Handels und der kleinen Bestechungen, die nach der Hungerkatastrophe die Wirtschaft prägten.
Die fahrenden Händler zeigten ihm die Heuschober, in denen er schlafen, kleine Weiler, in deren Häuser er einbrechen, und die Märkte, auf denen er die gestohlenen Gegenstände gegen Essen eintauschen konnte. Shin teilte abends oft seine Lebensmittel mit ihnen, wenn sich eine Gruppe an der Straße um ein Feuer hockte.
Als Shin Bukchang hinter sich ließ, nachdem er den gestohlenen Mantel übergezogen und in einer Tasche ein paar Kekse versteckt hatte, schloss er sich einer kleinen Gruppe von Händlern an, die zufällig nach Norden wandern wollten.
KAPITEL 17
Der Weg nach Norden
Wenn es ihm nicht gelang, möglichst weit und vor allem möglichst schnell von Bukchang wegzukommen, so fürchtete Shin, würde man ihn bald erwischen.
Er wanderte 15 Kilometer weit bis Maengsan, einer kleinen Stadt in den Bergen, wo er von Händlern erfuhr, dass demnächst ein Lastwagen in der Nähe des Zentralmarktes stehen würde. Für einen geringen Betrag fuhr er Reisende zum Bahnhof nach Hamhung, der zweitgrößten Stadt Nordkoreas.
Shin wusste noch nicht genug über die Geografie Nordkoreas, um zu wissen, wo Hamhung lag. Aber das machte ihm nichts aus. Er wollte um jeden Preis seine schmerzenden Beine schonen. In den drei Tagen seiner Flucht hatte er nicht mehr als 25 Kilometer hinter sich gebracht.
Nachdem er sich in die Schlange der Händler eingereiht hatte, die auf den Lastwagen warteten, gelang es ihm, sich zwischen die anderen auf die Pritsche zu zwängen. Die Straße war schlecht, und für die Strecke von 100 Kilometern bis Hamhung brauchte der Fahrer einen ganzen Tag bis in die Nacht. Unterwegs fragte ihn einer der Männer nach seiner Herkunft und seinem Ziel. Im Unklaren darüber, wer die Männer waren und warum er so gefragt wurde, gab Shin einfach keine Antwort. Für den Rest der Fahrt ließen die Männer ihn in Ruhe.
Shin war sich dessen nicht bewusst, aber der Zeitpunkt seiner Reise hätte nicht günstiger sein
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