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Flucht aus Lager 14

Flucht aus Lager 14

Titel: Flucht aus Lager 14 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Harden
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ausgerutscht, hätte er den Zaun als Erster erreicht und wäre sehr wahrscheinlich getötet worden. Parks Körper leitete den Stromfluss vom Draht zum Boden und sorgte dafür, dass Shin, als er über den Freund robbte, einer Spannung ausgesetzt war, die ihm nicht mehr gefährlich werden konnte.
    Als er den Zaun hinter sich hatte, wusste er nicht, welchen Weg er einschlagen sollte. Die einzige Richtung, die ihm sinnvoll erschien, war der Weg ins Tal. Anfangs taumelte er durch einen kleinen Forstbestand, doch es dauerte nicht lange, bis er sich in offenem Gelände befand und über Hochlandfelder und Viehweiden stolperte, die dann und wann vom Mondlicht erhellt waren, das durch die Wolken fiel.
    Er lief vielleicht zwei Stunden, immer bergab, bis er ein Tal mit Scheunen und verstreut liegenden Häusern erreichte. Er hörte keine Alarmgeräusche, keine Schüsse, keine lauten Rufe. Soweit er es beurteilen konnte, wurde keine Jagd auf ihn gemacht.
    Als sein Adrenalinspiegel langsam sank, bemerkte Shin, dass seine Hosenbeine klebrig waren. Er krempelte sie hoch und sah seine blutigen Beine. Auch seine Füße bluteten. Er war auf Nägel getreten, wahrscheinlich in der Nähe des Zauns. Es war sehr kalt, deutlich unter null Grad Celsius, und er hatte keinen Mantel.
    Park, der tot im Zaun lag, hatte ihm nicht gesagt, wie er den Weg nach China finden konnte.

KAPITEL 16
    Diebstahl
    Auf seinem Weg den Abhang hinunter über ein abgeerntetes Maisfeld stieß Shin auf einen Schuppen, der in den Hang geduckt lag. Die Tür war verschlossen. Da in der Nähe keine Häuser zu sehen waren, brach er die Tür mit dem Stiel einer Axt auf, den er auf dem Boden gefunden hatte.
    Gleich hinter der Tür entdeckte er drei getrocknete Maiskolben, die er sofort verschlang. Der Mais brachte ihm zu Bewusstsein, wie hungrig er war. Er untersuchte den Schuppen nach weiterem Essbarem, wobei ihm das Mondlicht zu Hilfe kam. Statt Nahrung fand er ein altes Paar Baumwollschuhe und eine getragene Militäruniform.
    Uniformen findet man in Nordkorea überall, denn es ist die weltweit am stärksten militarisierte Gesellschaft. Fast alle Bürger werden irgendwann zum Militärdienst eingezogen. Männer dienen zehn, Frauen sieben Jahre. Mit über einer Million Soldaten im aktiven Dienst sind etwa fünf Prozent der Bevölkerung des Landes in Uniform. Weitere fünf Millionen Nordkoreaner dienen im Verlauf des größeren Teils ihres Erwachsenenlebens in der Reserve. Die Armee ist »das Volk, der Staat und die Partei«, so lautet die Parole der Regierung, die nicht mehr von einem kommunistischen Staat spricht. Ihr Leitprinzip der Verfassung zufolge ist vielmehr: »Das Militär zuerst.« Soldaten in Uniform graben Muscheln aus und feuern Raketen ab, ernten Äpfel und legen Bewässerungskanäle an, verkaufen Pilze auf dem Markt und überwachen den Export von gefälschten Nintendo-Spielen.
    Zwangsläufig landen Militäruniformen irgendwann in Schuppen und Scheunen. Die Hose und das Hemd, die Shin fand, waren ihm viel zu groß, ebenso die Baumwollschuhe. Doch allein schon der Fund von Kleidern – weniger als drei Stunden nach dem Ausbruch aus dem Lager und noch bevor ihn irgendjemand gesehen hatte – war ein außerordentlicher Glücksfall.
    Er zog seine kalten, feuchten Schuhe aus und dann die beiden Hosen aus dem Lager. Von den Knien bis zu den Füßen waren die Hosenbeine steif von Blut und Schnee. Er versuchte, die Verbrennungen an seinen Beinen mit Seiten zu verbinden, die er aus einem Buch riss, das er im Schuppen fand. Die Blätter klebten auf seinen geschundenen Schienbeinen. Er zog sich die abgetragene, übergroße Uniform an und danach die Baumwollschuhe.
    Er war nun nicht mehr auf den ersten Blick als Lagerhäftling auf der Flucht zu erkennen, sondern war nur einer von zahllosen schlecht gekleideten, schlecht beschuhten und schlecht ernährten Nordkoreanern. In einem Land, in dem ein Drittel der Bevölkerung chronisch unterernährt ist, in dem lokale Märkte und Bahnhöfe voll sind von schmutzigen, umherziehenden Händlern und in dem fast jeder in der Armee gedient hat, fiel Shin überhaupt nicht auf.
    Außerhalb des Schuppens fand er auch einen Weg, dem er bis zu einem Dorf am Ende des Tals folgte. Dort sah er, zu seiner Überraschung, den Taedong. Bisher hatte er sich nicht mehr als dreieinhalb Kilometer vom Lager 14 entfernt.
    Die Nachricht von seinem Ausbruch hatte das Dorf offenbar noch nicht erreicht. Die Straßen waren dunkel und menschenleer. Shin kreuzte

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