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Flucht aus Lager 14

Flucht aus Lager 14

Titel: Flucht aus Lager 14 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Harden
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nach mafiaartigen Strukturen.«
    Der erwähnten Befragung zufolge wurden etwa zwei Drittel derjenigen, die in diesen Lagern festgehalten wurden, innerhalb eines Monats wieder entlassen. Die Lager waren häufig klein, hatten einfache Zäune und wurden von wenigen Wärtern bewacht, doch gaben viele Nordkoreaner an, sie hätten während ihres kurzen Aufenthalts immer wieder Hinrichtungen und Tote als Opfer von Folter und Hunger gesehen. Diese Drehtür-Inhaftierungen aufgrund von Wirtschaftsverbrechen verbreiteten Angst unter Menschen, die nichts anderes getan hatten, als ihren Lebensunterhalt durch Handel zu bestreiten.
    »Die Regierung Nordkoreas befiehlt der Polizei, die Märkte zu beschränken, doch deren Leute tun nicht immer das, was man ihnen befohlen hat, da so viele Polizisten und die Beamten anderer Behörden von den Märkten profitieren«, sagte Jiro Ishimaru, der Herausgeber von Rimjin-gang , einer in Japan verlegten Zeitschrift, die alle zwei Monate erscheint und Berichte von Augenzeugen, Fotos und Videos zusammenstellt, die von anonymen Reportern stammen. »Das Ausland bekommt das nicht mit, doch Nordkorea erlebt in diesen Tagen einen tief greifenden Wandel.«
    Shin kam am Abend in der Nähe des Bahnhofs in Hamhung an, einer Großstadt an der Küste mit rund 750000 Einwohnern. Viele der Bewohner arbeiteten in Fabriken, genauer gesagt taten sie das zu der Zeit, als die Stromversorgung und die Zulieferung der für die Produktion benötigten Materialien noch funktionierten.
    Während der Hungersnot in den Jahren nach 1995 brach das staatliche Verteilungssystem in Hamhung völlig zusammen, sodass die Arbeiter nicht mehr wussten, woher sie Lebensmittel beschaffen sollten. Infolgedessen wurde die Stadt von der Hungersnot und deren tödlichen Folgen schlimmer getroffen als andere nordkoreanische Großstädte. 26 Westliche Journalisten, die das Land 1997 besuchten, bemerkten, dass die Berge im Umkreis der Stadt von frischen Gräbern bedeckt waren. Ein Überlebender sagte, dass zehn Prozent der Einwohner gestorben seien, und ein anderer schätzte, dass weitere zehn Prozent aus der Stadt geflohen seien, um nach Nahrung zu suchen.
    2005, als Shin in Hamhung ankam, waren die meisten Fabriken in der Stadt noch geschlossen. Aber das Gros des nordkoreanischen Nord-Süd-Verkehrs auf Schienen erfolgte weiterhin über den dortigen Bahnhof.
    Im Schutz der Dunkelheit ging Shin mit einigen Händlern, die mit ihm nach Hamburg gekommen waren, zu einer Stelle des Rangierbahnhofs, wo Güterzüge zusammengestellt und abgeschickt wurden. Er sah einige Wachleute auf dem Gelände, die jedoch keine Ausweise sehen wollten und auch keine Anstalten machten, die Händler zu vertreiben.
    Gemeinsam mit den anderen Männern kletterte Shin in einen Güterwaggon mit dem Zielbahnhof Chongjin, der größten Stadt im fernen Norden des Landes, von wo aus unter anderen auch Züge zur chinesischen Grenze abgehen. Der Zug fuhr vor der Morgendämmerung ab und hatte eine Strecke von 280 Kilometern vor sich. Wenn alles gut ging, würde die Fahrt einen, vielleicht zwei Tage dauern.
    Shin lernte sehr bald, was jeder andere in Nordkorea schon längst wusste – dass hier die Züge langsam fahren, falls sie überhaupt fahren.
    In den kommenden drei Tagen brachte der Zug weniger als 160 Kilometer hinter sich. Im Güterwaggon freundete Shin sich mit einem jungen Mann von etwa zwanzig Jahren an, der ihm erzählte, sein Fahrziel sei Kilju, eine Stadt mit 65000 Einwohnern an der Hauptstrecke nach Chongjin, und dass er von einem vergeblichen Versuch, Arbeit zu finden, heimkehre. Er hatte nichts zu essen dabei, kein Geld und keinen Wintermantel. Aber er bot Shin an, ein paar Tage in der Wohnung seiner Familie zu verbringen, wo es warm sei und sie etwas zu essen hätten.
    Shin brauchte Ruhe. Er war erschöpft und hatte großen Hunger. Das Essen, das er in Bukchang gekauft hatte, war längst aufgegessen, und die verbrannten Stellen an seinen Beinen bluteten immer noch. Dankbar nahm er daher die Einladung seines Mitreisenden an.
    Es war früher Abend, kalt, und es begann zu schneien, als sie den Güterzug in Kilju verließen. Auf den Vorschlag von Shins neuem Freund, der wusste, wo man preiswert essen konnte, kauften sie unterwegs warme Nudeln bei einem Straßenverkäufer. Shin bezahlte das Mahl mit dem letzten Geld, das er für seinen gestohlenen Reis bekommen hatte.
    Als sie gegessen hatten, sagte der junge Mann, seine Eltern wohnten ganz in der Nähe, es sei ihm

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